EuGH-Urteil: „Kein Selbstmord aus Angst vor dem Tod“ Lothar Klein, 13.12.2016 08:37 Uhr
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat seinen versprochenen Entwurf für ein Rx-Versandverbot vorgelegt. Eine Expertenrunde spricht sich ebenfalls für diese Maßnahme aus. Im Fall des Scheiterns setzen Professor Dr. Elmar Mand, Professor Dr. Hilko Meyer und Professor Dr. Harald Schweim als Alternative auf ein Verbot des Im- und Exports von Arzneimitteln, wenn dies nur der Umgehung des deutschen Preisrechts dient. Auf Kritik stieß in der Hamburger Runde auch die aktuelle Unterschriftenaktion der ABDA.
Eingeladen zu dem Expertengespräch hatten die beiden Verbandschefs Dr. Jörn Graue (Hamburg) und Dr. Peter Froese (Schleswig-Holstein). Beide distanzierten sich von Textpassagen der Unterschriftenaktion der ABDA mit europakritischen Formulierungen. Pauschale Europakritik trage man nicht mit, so Graue und Froese. Er werde die Unterschriftenlisten in den eigenen Apotheken nicht auslegen, so Graue. Kritik übte Graue auch am Verfahren: Man sei über die ABDA-Kampagne vorab nicht informiert worden. Die Kampagne füge dem politischen Anliegen der ABDA Schaden zu.
Anlass der Einladung war jedoch ein Expertengespräch über die Folgen des EuGH-Urteils und die politischen Konsequenzen. Alle drei geladenen Experten waren sich einig, die ABDA in ihrer Forderung nach dem Rx-Versandverbot zu unterstützen. Zunächst müsse man die Chancen nutzen, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln jetzt zu verbieten.
Unterschiedliche Auffassungen gab es über die Erfolgsaussichten. Schweim, früherer Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Kritiker des Versandhandels, sieht angesichts der politischen Diskussion so gut wie keine Chance mehr, das Rx-Versandverbot „in vertretbarer Zeit“ umzusetzen.
Er rief in Erinnerung, dass 2004 auch die Union und Bundeskanzlerin Angela Merkel, damals noch Oppositionsführerin, für die Freigabe des Rx-Versandhandels gestimmt hätten. „Politiker korrigieren sich nicht gerne“, so Schweim. Auch Meyer hält ein Rx-Versandverbot „kurzfristig für schwierig, aber grundsätzlich für machbar“.
Nach eingehender Diskussion waren sich die drei geladenen Experten einig, dass der von Meyer unterbreitete Vorschlag eines Umgehungsverbots für die Preisbindung die größten Erfolgsaussichten hat. Meyer will „den Ex- und Import von Arzneimitteln verbieten, wenn der grenzüberschreitende Verkehr nur den Zweck hat, die nationale Preisbindung zu unterlaufen.“ Der Jurist auf Frankfurt schlägt eine Ergänzung im Arzneimittelgesetz (AMG) vor: Auf Arzneimittel sollen bei grenzüberschreitenden Verkäufen innerhalb der EU die Vorschriften über den einheitlichen Abgabepreis auf Hersteller- und Apothekenstufe angewendet werden, „wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die betreffenden Arzneimittel allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, um damit diese Vorschriften zu umgehen“.
Meyer hatte diesen Gedanken bereits bei der AMG-Novelle im Jahr 2012 ins Spiel gebracht. Damals hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung das Boni-Verbot auf ausländische Versender ausgedehnt. Genau diese Regelung ist jetzt vom EuGH gekippt werden. Meyer schlägt deshalb vor, es jetzt mit einer Anpassung des §78 Arzneimittelgesetz (AMG) zu versuchen.
Einig waren sich die Experten auch in der Ablehnung der derzeit in der SPD und der Union diskutierten Alternativen zum Rx-Versandverbot. Besonders kritisch sehen die drei den Vorschlag von SPD-Politiker Edgar Franke. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses hatte vorgeschlagen, im Sozialgesetzbuch (SGB V) einen Deckel für Rx-Boni im Rahmenvertrag zu verankern. In der Unionsfraktion wird erwogen, von ausländischen Versandapotheken gewährte Rx-Boni einzuziehen und damit deren Wettbewerbswirkung zu neutralisieren.
Für Mand wäre der SPD-Vorschlag nur bei einem Verbot von Rx-Boni hinnehmbar. Eine Deckelung sei unabhängig von der Höhe dagegen grundsätzlich abzulehnen. Froese verwies darauf, dass bereits ein Boni von „nur“ einem Euro den Apotheken über 750 Millionen Euro Ertrag kosten könnten. „Das überleben viele Apotheken nicht“, warnte Froese.
Die drei Experten wandten sich wegen grundsätzlicher Überlegungen gegen die Vorschläge von SPD und Union. Damit hole man sich systemfremde und systemwidrige Elemente ins deutsche Arzneimittelrecht, deren Folgen nicht abschätzbar seien. Das Prinzip der einheitlichen und ungeteilten Arzneimittelpreise werde damit ausgehöhlt und in Frage gestellt. Solchen Ideen dürfe die ABDA niemals zustimmen, „sonst begeht sie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.“
Spätere Bundesregierungen könnten ein Boni-Verbot leicht in einen Boni-Deckel abwandeln, so die Warnung. Mit dem Vorschlag der Union, den Rx-Boni zu neutralisieren, werde das einheitliche Arzneimittelpreisrecht ausgehebelt.
Einig waren sich die Experten in der Aufforderung, das die inländischen Apotheken trotz der veränderten Wettbewerbslage, das Rx-Boni-Verbot weiter einhalten müssen. „Sonst gerät alles ins Rutschen“, so Mand. Gute Aussichten sieht Mand, das Thema Rx-Boni nochmals in einem anderen Zusammenhang vor den EuGH zu bringen. Dazu müsse man einen geeigneten Fall und eine deutschen Richter finden, so Mand: „Wir arbeiten daran.“ Dann werde sich zeigen, ob das EuGH-Urteil nur ein einmaliger Ausrutscher oder ein Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung sei.
Ausdrücklich stützte Mand die ABDA-Strategie und forderte die Apothekerschaft zur Geschlossenheit auf. Mit seiner Ankündigung eines Rx-Versandverbotes habe Gröhe einen „Pflock“ eingeschlagen. Mand: „Der ist jetzt in der Welt. Die Apotheker müssen jetzt stillhalten.“