GroKo-Verhandlungen

Rx-Versandverbot: Die Stunde der Wahrheit

, , Uhr aktualisiert am 07.02.2018 06:38 Uhr
Berlin -

CDU, CSU und SPD haben bis in den Mittwochmorgen hinein um Details und Ressortzuschnitte einer künftigen großen
Koalition gerungen. Trotz einiger Annäherungen blieben die Gesundheits- und die Arbeitsmarktpolitik die zentralen Streitpunkte.
Dazu wurde auch um die Ressortverteilung unter den möglichen künftigen Koalitionären gefeilscht. Ein Ende der Verhandlungen war am frühen Morgen noch nicht absehbar. Auch das Rx-Versandverbot ist noch nicht entschieden.

In der vorläufigen Fassung des Entwurfs zum Koalitionsvertrag gehört das Rx-Versandverbot zu den wenigen Punkten, die als nach wie vor strittige Punkte gelb markiert. Als Platzhalter sind in eckigen Klammern die bisherigen Positionen aufgenommen: „[CDU/CSU: Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein.] [SPD: Um die Arzneimittelversorgung besonders in ländlichen Regionen sicherzustellen, bleibt der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten gestattet. Zur Sicherung der Präsenzapotheken vor Ort soll bei drohender Unterversorgung ein erhöhtes Beratungs- und Sicherstellungshonorar gezahlt werden.]“

Damit ist klar, dass die Entscheidung über den Versandhandel Teil eines Gesamtpakets werden soll. Die SPD hat sich die Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin auf die Fahne geschrieben, etwa durch eine Angleichung der Arzthonorare für gesetzlich und privat Versicherte oder durch eine Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte. Die Union ist dagegen. Denkbar wäre ein auf zwei Jahre befristetes Rx-Versandhandelsverbot. Auch im Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist man der Auffassung, dass das Apothekenhonorar grundlegend reformiert und von der Packungszahl abgekoppelt werden muss. Stattdessen soll die Honorierung an der Beratung anknüpfen. Für eine solche radikale Umstellung benötige man aber Zeit, hieß es aus Verhandlungskreisen.

Bis in die Morgenstunden tagte die Runde der 15 Spitzenvertreter um CDU-Chefin Angela Merkel, SPD-Chef Martin Schulz und CSU-Chef Horst Seehofer. Immer wieder zogen sich die Parteien nach dem mehr als 19-stündigen Verhandlungsmarathon zu internen Beratungen zurück. Die Gespräche könnten sich bis in den späten Vormittag ziehen, dann soll die große Runde der mehr als 90 Unterhändler noch einmal zusammenkommen, hieß es.

Trotz der Differenzen betonten alle Seiten ihren festen Willen, die Gespräche spätestens am Morgen abzuschließen. SPD-Chef Martin Schulz sprach vom „Tag der Entscheidung“. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betonte: „Eingraben geht jetzt nicht mehr. Die Stunde der Wahrheit naht.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte alle Seiten zu Kompromissbereitschaft: „Jeder von uns wird schmerzhafte Kompromisse noch machen müssen. Dazu bin ich auch bereit, wenn wir sicherstellen können, dass die Vorteile zum Schluss die Nachteile überwiegen.“ Es gehe darum, mit einer verlässlichen Regierung die Voraussetzungen dafür zu schaffen, „dass wir morgen auch noch in Wohlstand und in Sicherheit im umfassenden Sinne leben können“. Dieses Ziel dürfe man gerade in unsicheren Zeiten nicht aus den Augen verlieren.

Die Führung der Sozialdemokraten will mit einer deutlichen Einschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse und dem Ende der Zwei-Klassen-Medizin bei ihren Mitgliedern für ein Ja zum Koalitionsvertrag werben. Denn die mehr als 440.000 SPD-Mitglieder haben das letzte Wort, wenn die Koalitionsvereinbarung zustande kommt. Am Dienstag um 18 Uhr sollte die Frist für die Aufnahme von Mitgliedern auslaufen, die noch an der Abstimmung teilnehmen können. Einige Landesverbände meldeten bereits tausende Neuzugänge.

Laut Karl Lauterbach steht die SPD „unter großem Druck“, ihre gesundheitspolitischen Forderungen durchzusetzen. „Das ist ein wesentlicher Punkt für uns, da uns der Parteitag den Auftrag gegeben hat, hier etwas zu erreichen“, so der SPD-Gesundheitsexperte am Montag im ARD-Morgenmagazin. Auch der Bürger habe oft den Eindruck, dass Kassenpatienten nicht optimal und Privatpatienten oft überversorgt würden. Dieser Eindruck täusche auch nicht. Privatpatienten könnten im Alter die Prämien oft nicht mehr zahlen, die Bürger wollten, dass sich etwas ändere. „Das werden wir auch“, versprach Lauterbach. Er könne nicht verstehen, weshalb die Union sich so sperre, da es in keinem anderen Land in Europa ein System mit zwei Honorarordnungen gebe und dies auch langfristig nicht zu halten sei.

Nach dem Entwurf für den Koalitionsvertrag waren auch noch andere Punkte in der Endphase der Verhandlungen strittig. Dabei ging es unter anderem darum, ob Unternehmen Abstriche bei den Arbeitszeitregeln erlaubt werden sollen, wenn sie tarifvertraglichen Bestimmungen unterliegen. Umstritten waren noch Schutzregeln für Beschäftigte im Nahverkehr bei einem Betreiberwechsel oder die Verankerung eines Staatsziels Kultur im Grundgesetz.

Die Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD sollten eigentlich schon am Sonntag abgeschlossen werden, mussten dann aber zwei Mal verlängert werden. Schulz verteidigte dieses Vorgehen. „Wir sehen heute, dass wir gut beraten waren, uns Reservetage einzuräumen“, sagte er. Auch für die Unionsparteien, die aufs Tempo gedrückt hatten, sei das ersichtlich geworden, „weil man eine seriöse Grundlage bilden will für die zukünftige Regierung“.

Ein Scheitern der Verhandlungen gilt als äußerst unwahrscheinlich, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) schloss es aber nicht aus. „Ich schließe überhaupt nichts aus“, sagte er. Bouffier sprach von einem „harten Ringen“. Er halte eine Einigung für möglich. „Aber ob es gelingt, ist unsicher.“

Eine Entscheidung über Personalien ist nach Angaben der Sozialdemokraten noch nicht zu erwarten. „Die Personalfragen kommen einfach später, das ist nichts, was heute ansteht“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, im ARD-Morgenmagazin.

Zur Frage, wann Schulz Klarheit über einen möglichen Wechsel ins Kabinett schaffen wird, wollte sich Schneider nicht äußern. „Ich werde mich an dieser Diskussion nicht beteiligen“, sagte er. In der SPD gibt es Forderungen, die Parteispitze solle direkt nach der Vorlage eines Koalitionsvertrages und damit vor dem Mitgliederentscheid klarmachen, wer für die Sozialdemokraten ins Kabinett geht. Schulz hatte nach der Bundestagswahl im September ausgeschlossen, als Minister unter Kanzlerin Merkel zu arbeiten.

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