Gröhe bleiben 9½ Wochen Lothar Klein, 29.11.2016 15:13 Uhr
Die von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) angekündigte Gesetzesinitiative für ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln lässt weiter auf sich warten: „Es gibt noch keinen Termin“, erklärte heute sein Ministerium. Damit wird der Korridor eng: Denn Gesetzesinitiativen, die bis zum Jahresende nicht auf den Weg gebracht werden, sind aller Erfahrung nach bis zum Ende der Wahlperiode kaum mehr zu schaffen.
Ziel sei weiterhin, das Rx-Versandverbot „so schnell wie möglich“ umzusetzen, so das BMG. Allerdings liefen noch die Gespräche mit den Koalitionsfraktionen. Kurz nach dem EuGH-Urteil am 19. Oktober hatte Gröhe ein gesetzliches Rx-Versandverbot angekündigt; er wollte dafür in den Reihen der Koalitionsfraktionen werben. Während die Gesundheitspolitiker von CDU und CSU Zustimmung signalisierten, gibt es auf Seiten der SPD Widerstand. Vor allem SPD-Fraktionsvize Professor Dr. Karl Lauterbach lehnt ein Rx-Versandverbot ab. Andere SPD-Gesundheitspolitiker äußerten sich zurückhaltender. Damit geriet die Ankündigung ins Stocken.
In der vergangenen Woche hat die für Arzneimittelfragen zuständige SPD-Politikerin Sabine Dittmar zahlreiche Informationsgespräche geführt – unter anderem mit ABDA-Präsident Friedemann Schmidt und Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Nach Angaben aus ihrer Fraktion soll die Meinungsbildung in absehbarer Zeit abgeschlossen werden. Vermutlich in der letzten Parlamentswoche Mitte Dezember werde sich die SPD im Bundestag festlegen, hieß es jetzt.
Damit dürfte die Gesetzesinitiative von Gröhe in dieser Amtsperiode nicht mehr auf den Weg gebracht werden können. Denn der Bundestag beendet seine Parlamentsarbeit am 30. Juni 2017. Nach der Sommerpause sind keine weiteren Sitzungen mehr geplant. Dann wird Wahlkampf geführt.
Für die Umsetzung des Rx-Versandverbots stehen damit maximal neun Sitzungswochen zur Verfügung. Das ist ein ambitionierter Zeitplan – selbst wenn sich die SPD doch noch für ein Rx-Versandverbot aussprechen sollte. Die große Mehrheit der Koalition könnte für die Beratung Fristverkürzungen durchsetzen und das Verfahren damit beschleunigen. Allerdings gibt es bereits jetzt auf Länderseite Verärgerung über den von der Bundesregierung ausgeübten Gesetzgebungsdruck: Für die nächste Sitzung des Bundesrates hat die Bundesregierung bereits 16 Fristverkürzungen beantragt.
Und dann muss das Rx-Versandverbot noch das EU-Notifizierungsverfahren durchlaufen. Zwar verneint ein vom Verband der Kooperationsapotheken (BVDAK) beauftragtes Gutachten die Notwendigkeit der Notifizierung, aber das BMG ist anderer Auffassung: Im Bundesrat stellte für die Bundesregierung BMG-Staatssekretärin Ingrid Fischbach (CDU) klar, dass die Aufnahme eines Rx-Versandverbotes in die laufende Beratung des Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetzes (AM-VSG) „nicht hinnehmbar“ sei, weil dies wegen der Notifizierung sonst zu einer Verzögerung der Beratung führe.
Der BVDAK hatte bei Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen ein Gutachten zur Machbarkeit eines Rx-Versandverbots aus europarechtlicher Perspektive in Auftrag gegeben. Fazit: Weder wäre eine solche Maßnahme von vornherein angreifbar, noch müsste die EU eingebunden werden. BVDAK-Chef Dr. Stefan Hartmann fordert den Gesetzgeber daher auf, umgehend aktiv zu werden und das geplante Rx-Versandhandelsverbot in Deutschland umzusetzen.
Laut Gutachten ist ein Verbot des Rx-Versandhandels bereits durch das EuGH-Urteil aus dem Jahr 2003 gedeckt. Selbst Generalanwalt Maciej Szpunar habe in seinen Schlussanträgen zu Rx-Boni darauf abgehoben, dass man gleichzeitig ein Rx-Versandverbot befürworten und das System der Preisbindung als das „kleinere Übel“ verbieten könne. Dazu komme, dass eine solche Maßnahme auch primärrechtlich verankert sei.
Allerdings geht auch die ABDA bisher von einer Notifizierung aus. Mit der Anmeldung zur Notifizierung – in der Regel wird der Kabinettsentwurf eingereicht – beginnt eine drei- bis sechsmonatige „Stillhaltefrist“. Innerhalb dieser Zeit können Mitgliedstaaten sich zum Gesetzentwurf äußern und Fragen stellen. Die Kommission darf das Vorhaben weitere 12 bis 18 Monate sperren, wenn schon eine Harmonisierung in Arbeit ist. Für eilige Angelegenheiten gibt es Dringlichkeitsverfahren mit verkürzten Fristen.
Der Gesetzentwurf darf danach im Rahmen der parlamentarischen Beratung nicht mehr verändert werden, da sich die Notifizierung auf den Wortlaut des eingereichten Gesetzes bezieht. Das setzt voraus, dass der Kabinettsentwurf auch mit den Koalitionsfraktionen bereits abgestimmt sein muss. Sollte es in der Beratung des Parlaments trotzdem Änderungen geben, müsste entweder ein neues Notifizierungsverfahren starten. Kommt die EU-Kommission zu dem Eindruck,, dass im Verfahren geäußerten Bedenken nicht Rechnung getragen wurde, kann sie ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.