Seit der EuGH die Preisbindung für EU-Versender gekippt hat, setzt sich die ABDA für ein Rx-Versandverbot ein. Diese Maßnahme sei „alternativlos“. Tatsächlich hat es in den vergangenen Wochen zahlreiche Vorschläge gegeben, wie sich das EuGH-Urteil durch politische Maßnahmen aushebeln lassen könnte und wie der Versand unattraktiv oder gar unmöglich gemacht werden könnte. Ein Überblick.
In anderen Ländern bekommen Apotheken Geld einfach nur dafür, dass es sie gibt. In Großbritannien etwa werden jährlich rund 270 Millionen Pfund an alle Apotheken ausgeschüttet, die pro Monat mehr als 2500 Rezepte bearbeiten – das sind rund 25.000 Pfund pro Apotheke. Für rund 100 kleinere Apotheken, die als bedeutend für die Versorgung eingestuft wurden, gab es bis März 2015 eine zusätzliche Vergütung.
Bewertung: Das Modell funktioniert wohl nur in Kombination mit einer Bedarfsplanung – und selbst da nicht: Die britische Regierung will die „Establishment payments“ abschaffen, auch um den Weg für Versand- und Zentralapotheken freizumachen.Dass Apotheker in einem System mit Niederlassungsfreiheit Anspruch auf eine Gebühr haben, sobald sie ein Ladenlokal anmieten, lässt sich politisch nur schwer durchsetzen. Allenfalls ließe sich Experten zufolge die Niederlassung auf dem Land fördern – was einer gesundheitspolitischen Bankrotterklärung gleichkäme.
Auch hier lohnt sich ein Blick nach Großbritannien: Weniger als die Hälfte des Umsatzes, den Apotheken mit dem staatlichen Gesundheitsdienst NHS abrechnen, entfällt auf die schlichte Abgabegebühr („Dispensing fee“). Geld gibt es auch für Beratungsleistungen wie Medikationsanalysen und für die Belieferung von Dauerrezepten. Selbst die Annahme von E-Rezepten wird vergütet, genauso wie bestimmte zusätzliche Qualifikationen.
Bewertung: Auch unabhängig von der aktuellen Debatte um Rx-Boni kämpft die ABDA seit einigen Jahren für solche neuen Vergütungsformen – bislang vergebens. Abgesehen davon, dass andere Interessengruppen mauern: Da Versender viele Leistungen ebenfalls erbringen können, eignet sich die unter anderem von SPD-Fraktionsvize Professor Dr. Karl Lauterbach ins Spiel gebrachte Umstellung wohl kaum, um Kunden zurück in die Apotheke vor Ort lotsen.
Die Notdienstpauschale war die einzige neue Honorarkomponente, die die Apotheker seit mehr als zehn Jahren durchgesetzt haben. Die Vergütung lässt sich politisch gut verkaufen und hat sich bei rund 280 Euro pro Nacht eingependelt.
Bewertung: Der Notdienst als Gemeinwohlaufgabe, die nur Apotheken vor Ort erbringen können, ist sicher ein guter Hebel. Allerdings sind die Steuerungseffekte auch hier begrenzt: In einigen ländlichen Regionen gibt es nur erweiterte Bereitschaftszeiten, die nicht angerechnet werden. Andererseits wird sich die Vergütung auch nicht ins Unermessliche steigern lassen, zumal einige Apotheken in entlegenen Regionen dank Dauerbereitschaft bereits in den Genuss einer hohen fünfstelligen Geldspritze gekommen sind. Wird der Bereitschaftsdienst allzu attraktiv, würde dies sicher auch Begehrlichkeiten bei den Kliniken wecken, die mit ihren Ambulanzen bereits erfolgreich den Top der niedergelassenen Ärzte angezapft haben. Eine politische Debatte über eine Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Arzneimittelversorgung wäre ein unkalkulierbares Risiko mit womöglich gravierenden Folgen. Abgesehen von der Debatte über zentrale Notdienstapotheken.
Versender stellen keine Rezepturen her, schon gar nicht wenn sie im Ausland sitzen. So gesehen stärkt die von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe geplante Honoraranpassung die Apotheken vor Ort. Warum nicht noch einen Schluck aus der Pulle?
Bewertung: Auch hier ist das Limit schnell erreicht. Einerseits sind Rezepturen seit Jahren rückläufig, andererseits hatte schon die ABDA vor allzu großen Erwartungen gewarnt: Was passiert, wenn sich mit Zubereitungen zu viel Geld verdienen lässt, zeigt das Aufblühen der – teils kapitalgetriebenen – Herstellbetriebe im Zyto-Bereich.
Ähnlich einem Honorardeckel bei Hochpreisern könnte die Marge bei Apotheken gekürzt werden, die besonders hohe Umsätze mit den Krankenkassen erwirtschaften.
Bewertung: Auch wenn ein solcher Vorschlag in Zeiten, in denen das Kartellrecht vor dem internationalen Kapital kapituliert, ein neuartiger Ansatz wäre: In einer freien Marktwirtschaft lässt sich ein solcher Ansatz wohl kaum durchsetzen. Eher etwas für linksorientierte Gemüter. Dazu käme der immense Aufwand bei der Rückabwicklung.
Rein statistisch versorgt jede Apotheke in Deutschland knapp 4000 Einwohner. Versender wie DocMorris oder Shop-Apotheke kommen auf Hunderttausenden oder gar Millionen Kunden. Eine feste Quote an Apothekern oder PTA je nach Kundenzahl würde ihnen das Geschäft schwer oder gar unmöglich machen.
Bewertung: Der Vorschlag ließe sich unter dem Aspekt der Arzneimittelsicherheit sicher gut verkaufen. Problematisch wären der Nachweis in jedem Einzelfall, und auch juristisch könnte geprüft werden, ob das Modell angemessen und geeignet ist.
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker! Falsch: Denn seit der Novellierung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) sind Apotheken sogar explizit zur Beratung verpflichtet. Wenn auch Versandapotheken diese Leistung bei jeder Abgabe aktiv anbieten müssten, könnte dies den Ablauf empfindlich stören.
Bewertung: Während die Pharmazieräte die ApBetrO eher streng auslegten, machte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) 2013 DocMorris & Co. Zugeständnisse: Der Kunde habe die freie Entscheidung, ob er die Beratung der Versandapotheke in Anspruch nehme oder nicht. „Damit entfällt bei einer Versandapotheke grundsätzlich die Pflicht eigeninitiativ zu beraten, nicht aber das Recht des Patienten, beraten zu werden.“
In die Apotheke um die Ecke geht man, nach der preisgünstigsten Versandapotheke sucht man. Wenn die Werbung für Apotheken aus Gründen der Arzneimittelsicherheit eingeschränkt würde, hätten Anbieter aus dem Internet ein Problem.
Bewertung: Ein Werbeverbot würde auch Apotheken vor Ort treffen; insgesamt wäre ein Erfolg sehr unwahrscheinlich.
Betäubungsmittel, teratogene Wirkstoffe und die Pille danach dürfen nicht verschickt werden. Warum nicht gezielt weitere Kategorien suchen, die vom Versand ausgeschlossen werden sollten?
Bewertung: Auch hier müsste wohl nachgewiesen werden, dass tatsächlich Sicherheitsgründe den Ausschluss rechtfertigen.
Die Großhändler müssen nach den GDP-Vorgaben beim Versand die Einhaltung der vorgegebenen Temperaturkorridore einhalten. Wenn diese Regelung auf Versandapotheken ausgeweitet werden würde, wäre das Geschäft deutlich erschwert. Zumindest würde der Versand wohl deutlich teurer werden.
Bewertung: Der Vorschlag war bereits ein Thema beim Deutschen Apothekertag 2015 in München und gilt als aussichtsreichste Variante, um den Versandhandel aus Gründen der Arzneimittelsicherheit auszuhebeln. Problem: Das BMG hat bereits erklärt, die GDP-Vorgaben nicht auf Versandapotheken auszuweiten. Und DocMorris behauptet, anhand von Messstreifen in den Päckchen beweisen zu können, dass es kein Temperaturproblem gibt.
Während die Medien über das EuGH-Urteil frohlockten, sahen die Kassen die Entscheidung mit gemischten Gefühlen. Wettbewerb im Apothekenmarkt sei prima, aber Vorteile stünden der Solidargemeinschaft zu. Der Vorschlag, die Kassen zu verpflichten, die Rabatte bei den Versicherten einzutreiben, wird derzeit in der Politik heiß diskutiert.
Bewertung: Auf diese Weise könnte man Patienten schnell den Anreiz nehmen, ihr Rezept an die Versandapotheken zu schicken. Womöglich würde das Problem aber nur noch größer: Denn die Vergangenheit hat bereits gezeigt, dass die Vorstände nur allzu bereit wären, ihre Versicherten für Einsparungen umzuleiten. Die Kassen liegen bereits in Lauerstellung.
Während die einen den Preiswettbewerb unter den Apotheken befeuern möchten, kämpfen die anderen um eine Deckelung der Einkaufskonditionen. Bestätigt der Bundesgerichtshof (BGH) irgendwann das Rabattverbot, blieben die Apotheken auf den Rabatten sitzen.
Bewertung: Wenn die Preisbindung schon für EU-Versender beim Verkauf nicht gilt, warum sollte sie dann beim Einkauf gelten? Dazu kommt, dass die Musik im Bereich der Werbekostenzuschüsse und Kick-Backs spielt. Und selbst wenn DocMorris & Co. zu denselben Konditionen einkaufen müssten wie Vor-Ort-Apotheken, könnten sie immer noch von Skaleneffekten profitieren.
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