Als der Bundesgerichtshof (BGH) Rabatte für Teilmengen verschreibungspflichtiger Arzneimittel erlaubte, kam das für viele überraschend. Nicht wenige fürchteten, dass dadurch die Preisbindung aufgeweicht würde. Die Politik ist deutlich entspannter: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) sieht keinen Handlungsbedarf und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist noch mit der Prüfung des Sachverhalts beschäftigt.
Das BMWi hält das BGH-Urteil für „sachgerecht“. Insoweit sehe man derzeit keinen Handlungsbedarf zur Änderung der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), so ein Sprecher. Das BMG prüft derweil noch die Urteilsgründe. Außerdem wurden Stellungnahmen von der ABDA und dem GKV-Spitzenverband angefragt.
Allerdings ist die Prüfung auch in der Jägerstraße noch nicht abgeschlossen: Die Stellungnahme für das BMG werde derzeit vorbereitet und dann fristgerecht abgeschickt, so ein Sprecher. Beim GKV-Spitzenverband verweist man darauf, dass die Regelungen des Rahmenvertrags auch weiterhin gelten: „Preise werden vertraglich zwischen dem Apotheker/der Apotheke und der Krankenkasse bestimmt, wenn die Arzneimittelpreisverordnung nicht greift“, so eine Sprecherin.
In dem Verfahren ging es um Rabatte auf Fertigarzneimittel zur Herstellung patientenindividueller Blister. Die Preise für die Medikamente wollte Ratiopharm frei mit den Apotheken verhandeln. Die Wettbewerbszentrale hatte gegen den Generikakonzern geklagt. Der berief sich auf eine Ausnahmeregelung und bekam in der letzten Instanz vom BGH recht.Der BGH stellte klar, dass die Preisbindung für aus Fertigarzneimitteln entnommene Teilmengen nicht gilt. Die Vorinstanzen hatten sich der Argumentation der Wettbewerbszentrale angeschlossen, nach der es darauf ankomme, was der Arzt verordne und bei den Krankenkassen abgerechnet werde: Wenn der Patient im Endeffekt die gesamte Packung erhalte, könne nicht von einer Teilmenge gesprochen werden und die Ausnahmeregelung nicht greifen.
Der BGH sah das anders. Den Richtern zufolge sind die Voraussetzungen für die Ausnahmeregelung erfüllt: „Die Apotheken geben die Fertigarzneimittel in Teilmengen ab“, betonten sie. Dass im Laufe der Zeit die Gesamtmenge einer Arzneimittelpackung ausgeliefert werde, schließe die Ausnahmeregelung nicht explizit aus. Die Richter gingen sogar noch weiter und stellten klar: „Die Vorschrift erfordert auch nicht, dass die Abgabe der Teilmenge auf einer ärztlichen Verordnung beruht.“
Aus Sicht von Christiane Köber von der Wettbewerbszentrale hat sich der BGH bei seiner Entscheidung sehr eng an den Wortlaut des Gesetzes gehalten. Davon auszugehen, dass die Ausnahmeregelung nicht genutzt werde, um die Preisbindung zu umgehen, sei allerdings realitätsfern, bemängelte Köber.
Dass die Richter die enge Auslegung des Gesetzestextes bestätigt haben, sieht Köber kritisch: „Das ist ein Einfallstor für die Umgehung der Preisbindung.“ Tatsächlich gibt es schon heute Apotheken, die etwa Spiralen in einer Bündelpackung einkaufen, auseinzeln und zu „Sonderpreisen“ an Patienten abgeben. Köber sah deshalb die Politik in der Pflicht: „Wenn der Gesetzgeber das nicht wollte, wäre es jetzt eine schöne Gelegenheit, die Rechtslage anzupassen.“
Ähnlich bewertete Dr. Bettina Mecking, Juristin bei der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR), den Sachverhalt: Sie hatte die Politik aufgefordert, schnell zu reagieren, „bevor es durch die zu erwartenden Umgehungen zu einer nachhaltigen Schädigung kommt“. Das Risiko eines Missbrauchs sei nicht gering einzuschätzen, sondern stelle eine ernstzunehmende Gefahr dar. Das Urteil kritisierte sie als „sachfremd“.
Aus Sicht von Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas von der Freiburger Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen stellt die BGH-Entscheidung sogar die Erforderlichkeit des deutschen Preisrechts infrage. Es komme daher zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkte: Schließlich beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) derzeit mit Rx-Boni der niederländischen Versandapotheke DocMorris. Douglas warnte, dass sich in einem Verfahren schwer erklären lasse, warum das Festhalten an Festpreisen nötig sei, wenn beim zunehmend an Bedeutung gewinnenden Blistern eine Ausnahme gemacht werde.
Bei Ratiopharm ist man hingegen überzeugt, dass das Urteil „nicht zu wesentlichen Verschiebungen am Markt führen“ wird. „Die pharmazeutischen Hersteller sind durch die sehr hohen Rabatte für Rx-Produkte aus weit verbreiteten Rabattverträgen mit den Krankenkassen bereits so sehr wirtschaftlich unter Druck, dass sie im Bereich der patientenindividuellen Verblisterung kaum über wirtschaftliche Spielräume in der Preisgestaltung verfügen“, so eine Sprecherin.
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