Die Apotheker:innen wollen sich von manchem Ärgernis im Alltag befreien und mehr Freiheiten bei der Berufsausübung haben. Beim Deutschen Apothekertag (DAT) diskutieren die Delegierten in München über eine Abschaffung der Präqualifizierung, Grenzen für Retaxationen und eine stärkere Kontrolle großer Kapitalgesellschaften, die in den Markt drängen. Kontrovers dürften die Debatten über die Chronikerversorgung ohne Rezept und die Abschaffung einer Weiterbildung für Homöopathie werden.
Die Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL), immerhin mit Abda-Präsidentin Gabriele Overwiening an der Spitze, will Apotheken erlauben, Chroniker in Ausnahmefällen auch ohne Rezept zu versorgen. Weil das für die Ärzt:innen regelmäßig eine rote Linie ist, werden die Grenzen im Antrag eng abgesteckt: „in dringenden Fällen“, „außerhalb der Praxisöffnungszeiten und im Notdienst“ und „um eine Therapieunterbrechung zu vermeiden“. Ob das reicht, um neue Forderungen nach einem Dispensierrecht seitens der Vertreter der Ärzteschaft zu unterbinden, wird sich nach dem DAT zeigen – sollte der Antrag angenommen werden.
Gleich 14 Kammern und Verbände fordern die Abschaffung der Präqualifizierung. Denn Apotheken unterlägen der staatlichen Überwachung und müssten per Gesetz die in der Apothekenbetriebsordnung geforderten Voraussetzungen erfüllen. „Mit der Erteilung der Apothekenbetriebserlaubnis ist daher sichergestellt, dass jede Apotheke die Voraussetzung für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung von Hilfsmitteln erfüllt.“
Im „Kampf gegen virtuellen Fremdbesitz“ soll sich der Gesetzgeber die gesundheitspolitischen Risiken ansehen, „die insbesondere von apothekenfremden, kapitalgetriebenen Plattformen, Lieferdienstanbietern und ähnlichen Konstruktionen“ ausgehen, so die Kammer Nordrhein. Denn die kapitalstarken „Glückritter“ würden mit ihren Konzepten das Apothekenrecht aushöhlen. Die Kombination aus „virtuellem Schaufenster“ und Pauschalgebühr für die Übermittlung von E-Rezepten verstoße zudem gegen das Makelverbot.
Für die Aktivitäten kapitalgesteuerter Großkonzerne wie Amazon oder Douglas wünscht sich die Kammer in einem weiteren Antrag eine kontinuierliche Überprüfung durch die Behörden.
Emotional werden könnte die Debatte um die Weiterbildungsordnung, wenn es um die Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren und Homöopathie“ geht. Die Kammer Berlin fordert den Wechsel zu „Phytopharmazie und Naturheilkunde“. Begründung: „Durch die Erlaubnis zum Führen des Titels ‚Apotheker:in für Naturheilverfahren und Homöopathie‘ durch die Landesapothekerkammern wird suggeriert, dass die Homöopathie eine wissenschaftlich anerkannte und evidenzbasierte Arzneimitteltherapie ist.“
Die Kammer aus Bayern will die Bundesregierung auffordern, die kritische Infrastruktur – von der Pharmaindustrie bis zur Apotheke vor Ort – in Zeiten der Energieknappheit zu unterstützen.
Die erleichterten Abgaberegeln während der Corona-Pandemie sollen verstetigt werden, ebenso das Recht der Apotheken, Desinfektionsmittel herzustellen. Und die Kammer Nordrhein fordert die Apothekenpflicht für pharmazeutische Dienstleistungen.
In einem gemeinsamen Antrag fordern die Kammern von Hamburg und Rheinland-Pfalz mehr Schutz für notdiensthabender Apotheker:innen. Diese seien zunehmend mit belästigenden und bedrohenden Anrufen konfrontiert, darunter eindeutig sexuelle Belästigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen durch Corona-Leugner und Impfgegner oder penetrant Mehrfachanrufe ohne pharmazeutisches Anliegen.
Im Block Pharmazeutische Kompetenz geht es unter anderem um Reformen des Pharmaziestudiums und der PTA-Ausbildung sowie ein einheitliches Portal der Bundesapothekerkammer (BAK) für Fort- und Weiterbildungen. Kammer und Verband aus Baden-Württemberg wollen Apotheken erlauben, auch symptomatische Covid-19-Patient:innen zu testen. Außerdem sollen die Apotheken vor Ort mit Kampagnen als die bevorzugte Beratungs- und Abgabestelle für OTC-Arzneimittel in den Fokus gerückt werden. Und die Kammer Hessen wünscht sich einen Apotheker oder eine Apothekerin in der Ständigen Impfkommission (Stiko).
Überraschend schmal ist der Block „Digitalisierung“ mit nur sieben Anträgen. Der Geschäftsführende Abda-Vorstand wünscht sich im Zusammenhang mit dem TI-Ausbau die Umsetzung weiterer „digital unterstützter, honorierter (pharmazeutischer) Dienstleistungen“. Die Kammer Berlin will eine Refinanzierung von KIM- und TIM-Mail-Adressen. Dem Wunsch der AKWL nach einer eGK-Option für das E-Rezept kommt die Gematik aktuell schon nach.
Wie weit der Weg zur Digitalisierung noch ist, zeigt ein Antrag der Kammer Berlin: Die Behörden sollen die Druckqualität des QR-Codes konsequenter kontrollieren, damit keine unlesbaren Data-Matrix-Codes in der Apotheke landen.
Eine ganze Reihe von Anträgen befasst sich mit der Honorierung der Apotheken. Die Vergütung müsse an die Kostenentwicklung angepasst werden, der Kassenabschlag sollte ein Nettobetrag werden. Und Einträge in der elektronischen Patientenakte (ePA) sollen vergütet werden
Die AKWL verweist auf den steigenden Aufwand der Apotheken mit nicht verfügbaren Arzneimitteln. Diesen sollen die Krankenkassen erstatten. Ein gemeinsamer Antrag mehrerer Organisationen fordert darüber hinaus ein Honorar für das Inkasso der Herstellerabschläge.
Die Krankenkassen sollen bei ihren Retaxationen in die Schranken gewiesen werden, Kürzungen sollen sich auf den nachzuweisenden wirtschaftlichen Schaden beschränken, Rabattverträge eine Friedenspflicht erhalten und das Entlassmanagement flexibler werden. Die Retax-Abteilung auf Provisionsbasis auszulagern, soll den Kassen grundsätzlich verboten werden. Und Apotheken sollen mehr Möglichkeiten zur Heilung von Abrechnungsfehlern bekommen. Vor allem aber: Es soll eine bundesweite Medienkampagne geben, um auf Null-Retaxationen aufgrund von Formfehlern hinzuweisen.
Ein größerer Block befasst sich mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Es geht um Ressourcenverbrauch durch die Arzneimittelherstellung, Verpackungsmüll oder die Aufnahme umweltrelevanter und ökotoxikologischer Daten in die Abda-Datenbank. Die Apothekerkammer Hamburg beantragt, dass der DAV und die Landesverbände Förderprogramme für die Umstellung auf klimaneutrale Apotheken ins Leben rufen. Etwas kleiner, aber praxisnah ist der zweite Vorschlag aus Hamburg: die Aufhebung der Belegabgabepflicht (Bon-Pflicht).
Die LAK Thüringen stört sich daran, dass noch immer „unnötige Zugaben und kostenlose Add-Ons von Herstellern verschiedener apothekenüblicher Produkte zu Marketingzwecken“ über Apotheken verteilt werden. Doch nicht nur die Hersteller selbst, sondern auch die Krankenkassen sollen zu mehr Nachhaltigkeit angehalten werden und bei den Zuschlägen zu ihren Rabattverträgen auf die Sozial- und Umweltstandards der Hersteller achten.
Der DAT findet vom 14. bis 16. September in München statt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wird ein Grußwort sprechen, aber nicht mit den Delegierten aus Kammern und Verbänden diskutieren.
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