EuGH-Verfahren

Rx-Boni: Das sagen die Experten

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Berlin -

Für seine Schlussanträge im Rx-Boni-Verfahren muss Maciej Szpunar viel Kritik einstecken. Arzneimittelrechtler kritisieren, dass der Generalanwalt von der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) abweichen will und damit indirekt das System der Preisbindung in Deutschland untergrabe. Die Experten Dr. Elmar Mand, Dr. Morton Douglas und Dr. Jörn Witt haben das Votum des Generalanwalts für APOTHEKE ADHOC bewertet.

Laut dem Arzneimittelrechtsexperten Dr. Elmar Mand verabschiedet sich Szpunar mit seinen Schlussanträgen „en passant von einer sehr eindeutigen, gefestigten und konsistenten Rechtsprechung des EuGH zum Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten“. Auch sei es nicht begründbar, in einem Vorlageverfahren die Partei, die sich auf die Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Unionsrecht beruft, von ihrer insoweit bestehenden Beweislast ohne weiteres freizustellen.

Mand kritisiert, dass sich Szpunar überhaupt nicht mit allen Argumenten auseinandergesetzt habe. So schlage er ein Höchstpreissystem als milderes Mittel vor und erwähne dabei, der deutsche Gesetzgeber habe dies selbst schon erwogen. „Er verschweigt aber, dass sich der Gesetzgeber explizit dagegen entschieden hat und warum“, so Mand. Dass sich ein Generalanwalt nicht mit allen Argumenten befasse, sei schon sehr ungewöhnlich. Insgesamt habe das Votum eine eigentümliche Tendenz und Wertung, findet der Jurist.

Auch die Begründung des Generalanwalts kann Mand nicht nachvollziehen: „Zu den apodiktischen Weisheiten zählt die aus meiner Sicht fehlerhafte Einschätzung, dass mehr Wettbewerb in regulierten Märkten automatisch die Qualität steigert“, so Mand. Die gesamte Argumentation komme ihm sehr nah an der Position der EU-Kommission vor.

Dr. Jörn Witt von der Kanzlei CMS Hasche Sigle findet die Schlussanträge von Szpunar ebenfalls „nicht durchgängig überzeugend“. Mit mehreren vorgetragenen Argumenten habe sich der Generalanwalt überhaupt nicht befasst. „Insgesamt hätte man mehr argumentativen Aufwand erwartet“, so Witt. Er gehe aber davon aus, dass der EuGH dies in seiner Urteilsfindung und -begründung nachholen werde.

„Die Schlussanträge lesen sich eher wie ein Appell an das Gericht, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen“, so Witt. Denn der EuGH räume den nationalen Gesetzgebern in Fragen, die das Gesundheitssystem betreffen, eine große Einschätzungsprärogative ein. Das sogenannte Vorsorgeprinzip sei dabei Rechtfertigung genug, weitere Nachweise müssten die Mitgliedstaaten für gewöhnlich nicht erbringen, so Witt. Aus seiner Sicht spricht daher anders als üblich einiges dafür, dass der EuGH in diesem Fall nicht dem Votum des Generalanwalts folgt.

Vor Beginn des EuGH-Verfahrens hatte sich Mand festgelegt, dass das System der Preisbindung hält. Nach Veröffentlichung der Schlussanträge des Generalanwalts habe sich die Wahrscheinlichkeit zwar verändert, trotzdem ist Mand zuversichtlich, dass der EuGH nicht dem Votum des Generalanwalts folgen werde.

Dafür spricht aus seiner Sicht nicht nur die „teilweise rudimentäre Argumentation“ in den Schlussanträgen, sondern vor allem die Tatsache, dass der EuGH allgemeine Grundsätze seiner Rechtsprechung in eine neue Richtung lenken müsste. „Das wäre für die zur Entscheidung berufene Kleine Kammer des EuGH schon sehr ungewöhnlich“, so Mand. Dies umso mehr, da die Mehrheit der Mitgliedstaaten ähnliche Preisbindungssysteme kenne. Gleichwohl werde die Kammer die Schlussanträge natürlich sehr ernst nehmen. „Jetzt gilt es abzuwarten“, so Mand.

Selbst wenn der EuGH die Preisbindung für ausländische Versandapotheken kippt, sieht Mand – anders als sein Kollege Dr. Morton Douglas – keine Notwendigkeit für schnelle Anpassungen der nationalen Gesetzgebung: „Die Apotheken haben es schon jetzt mit der Situation zu tun, dass ausländische Versandapotheken faktisch die Arzneimittelpreisverordnung nicht beachten, ohne dass das große Auswirkungen auf den Markt gehabt hätte.“ Eile sei daher nicht geboten, auf Dauer sei es aber natürlich kein Zustand, dass ungleiche Bedingungen herrschten.

Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen erwartet in diesem Fall dagegen schnelle Auswirkungen auf den deutschen Markt: „Man kann die Uhr danach stellen, dass sich dann sofort deutsche Apotheker verklagen lassen, weil sie auch Rx-Boni gewähren wollen.“ Douglas ist aber auch überzeugt, dass es dann zu spät ist: „Wenn die deutschen Apotheken das erst durchfechten müssen, dürfte ein Drittel der Apotheken in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.“ Denn ohne Preisbindung für ausländische Versender werde der Wettbewerb grob verzerrt.

Auch Witt erwartet, dass dann viele deutsche Apotheken und Versender „aus Notwehr“ ihr Glück mit Rx-Boni versuchen würden, obwohl für deutsche Apotheken die Preisbindung für Rx weiter gälte. Alternativ könnte der Gesetzgeber selbst reagieren und das Preisbildungssystem anpassen.

Ein Rx-Versandverbot als „rechtlichen Gegenschlag“ hält Witt dagegen für unwahrscheinlich: „Das ist keine ganz einfache Sache, da es auf etablierte Geschäftsmodelle trifft, für die Bestandsschutz geltend gemacht werden könnte.“ Aus seiner Sicht habe der Gesetzgeber die möglichen Auswirkungen auf das Preisrecht offenbar nicht erkannt, als er den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zugelassen habe. Dieses könne sich aus diesem Blickwinkel im Nachhinein als „Kardinalfehler der deutschen Politik“ erweisen.

Mand dagegen sieht in einem Rx-Versandverbot eine Alternative, zumal der EuGH dies in seiner ersten DocMorris-Entscheidung befürwortet habe. Ein Verbot sei heute zwar schwieriger zu rechtfertigen, Mand sieht im wachsenden Problem der Arzneimittelfälschungen aber einen guten Grund. Diese tauchten zwar nicht in der legalen Vertriebskette auf, „aber wenn der Rx-Versand verboten ist, weiß jeder Verbraucher sofort, dass die Quelle illegal ist“. Heute ließen sich legale Anbieter nicht zu 100 Prozent identifizieren.

Sollte der Rx-Versandhandel erlaubt bleiben, müsste der Gesetzgeber Mand zufolge das Preissystem umgestalten, wozu es verschiedene Möglichkeiten gäbe. Rx-Rabatte in unbegrenzter Höhe wären Mand zufolge aber ohnehin nie zulässig: „Wenn die Vergünstigungen – etwa in Form von Gutscheinen – die gesetzliche Zuzahlung des Versicherten im Wert übersteigt und er mit der Verordnung quasi Geld verdient, wäre dies unter sozialgesetzlichen Gesichtspunkten unzulässig“, so Mand.

Der Spielraum für Boni sei entsprechend begrenzt – zuzahlungsbefreite Versicherte dürften konsequenterweise überhaupt keine oder nur sehr geringe wirtschaftliche Vorteile erhalten.

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