Ausländische Versandapotheken müssen sich nicht länger an die deutsche Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) halten. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Beobachtern zufolge soeben entschieden. Die Luxemburger Richter halten die Preisbindung in ihrer heutigen Form für europarechtswidrig. Für deutsche Apotheken dürften die Folgen mittelfristig erheblich sein.
Zur Begründung führen die Richter aus, dass sich die Festlegung einheitlicher Abgabepreise auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker auswirkt, sodass der Zugang zum deutschen Markt für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werden könnte als für inländische Erzeugnisse.
Der Versandhandel stelle für ausländische Apotheken ein wichtigeres beziehungsweise sogar das einzige Mittel dar, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten. Der Preiswettbewerb könne für Versandapotheken ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor sein als für traditionelle Apotheken, die besser in der Lage seien, Patienten durch Personal vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen.
Grundsätzlich könne zwar eine Beschränkung des freien Warenverkehrs mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens gerechtfertigt werden, doch ist laut EuGH die Preisbindung zur Erreichung dieser Ziele nicht geeignet. „Es wurde insbesondere nicht nachgewiesen, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher Preise eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden kann.“
Laut EuGH legen einige eingereichte Unterlagen nahe, „dass mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln fördern würde, da Anreize zur Niederlassung in Gegenden gesetzt würden, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten“.
Auslöser des Verfahrens war eine Klage der Wettbewerbszentrale gegen ein Bonusmodell der niederländischen Versandapotheke DocMorris und der Deutschen Parkinson Vereinigung (DPV). Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hatte dem EuGH im Juni 2015 drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ob es sich beim deutschen Rx-Boni-Verbot um eine Maßnahme gleicher Wirkung handelt (Warenverkehrsfreiheit), wie diese zweitens zu rechtfertigen wäre und drittens, wie hoch die Anforderungen an eine solche Feststellung sein müssten.
Nach der mündlichen Verhandlung in Luxemburg am 17. März wurde die Partie von den Beteiligten noch als offen angesehen. Die Positionen der Beteiligten in Kurzform: Die Bundesregierung findet, dass Versandapotheken nachts versagen, DocMorris meint, ein kleiner Bonus täte nicht weh. Die EU-Kommission denkt, Versender seien auf Boni angewiesen und die Wettbewerbszentrale und die ABDA waren überzeugt, dass die Preisbindung Apotheken erhält.
Anfang Juni hatte Maciej Szpunar, Generalanwalt beim EuGH, dann aber seine Schlussanträge vorgelegt – und die Richtung vorgegeben: Er sprach sich gegen die Wirkung deutscher Preisvorschriften auf ausländische Versender aus. Aus seiner Sicht verstößt § 78 des Arzneimittelgesetzes (AMG) in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) gegen die Artikel 34 und 36 der EU-Verträge.
Dem polnischen Generalanwalt zufolge sind ausländische Apotheken von der Preisbindung stärker betroffen als deutsche Apotheken. Der Hauptgrund sei das Fremdbesitzverbot. Damit bleibe DocMorris & Co. nur der Versandhandel, um auf dem Markt aktiv zu werden. Die Preisbindung sei dabei ein Handelshemmnis. Der EuGH folgte offenbar dieser Logik.
Die Regierung hatte die Preisbindung mit dem Argument verteidigt, dass es nicht zu einem ruinösen Preiswettbewerb kommen soll. Außerdem wird ein Qualitätsabfall bei der Versorgung befürchtet, wenn Apotheken nur noch über den Preis konkurrieren.
Für die Praxis bedeutet das Urteil vorerst nur, dass ausländische Versender Rx-Boni gewähren dürfen. Deutsche Apotheken müssen sich weiter an die Preisbindung halten, sonst droht ihnen Ärger mit den Aufsichtsbehörden. Die ABDA hatte mit einer Resolution beim Deutschen Apothekertag (DAT) für diesen Fall eine Lösung des Gesetzgeber verlangt – etwa mit einem Rx-Versandhandelsverbot. Das aber ist dem Vernehmen nach unwahrscheinlich.
Viele Apotheken werden es daher – jedenfalls laut einer Befragung – darauf ankommen lassen und mit eigenen Bonus-Modellen dagegen halten. Ob und mit welchem Erfolg die Aufsichtsbehörden tatsächlich dagegen vorgehen werden, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen.
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