Mit seiner Forderung nach mehr „Recht und Ordnung“ in Deutschland hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht nur Kritik in der Öffentlichkeit provoziert. Jetzt distanziert sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von Spahn. „Bei der Äußerung von Bundesminister Spahn handelt es sich um einen persönlichen Debattenbeitrag des Ministers, den wir nicht weiter kommentieren“, sagte ein Regierungssprecher der Bild-Zeitung. Solche „Rüffel“ für Kabinettsmitglieder gibt es nicht so häufig.
Merkel dürfte über Spahns Interview-Offensive wenig erfreut sein – zumal die Union in den letzten 13 Jahren stets den für die innere Sicherheit zuständigen Innenminister stellte. Auch die Opposition nutze die Gelegenheit für eine verbale Attacke gegen die neue GroKo: „So langsam wünscht man sich, dass Regierungsmitglieder Lösungen vorstellen, statt längst bekannte Probleme zu beschreiben. Was war die letzten zwölf Jahre los, wenn Herr Spahn erst jetzt Probleme benennt, die in der Regierungszeit der CDU groß wurden?“, sagte FDP-Chef Christian Lindner.
Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) kritisiert Spahn: „Die Innere Sicherheit verbessert man nicht mit Interviews und flotten Sprüchen, sondern indem man die Dinge anpackt und ändert.“ Die NRW-Landesregierung arbeite „mit Hochdruck“ daran, verlorenes Vertrauen der Bürger in Recht und Ordnung zurückzugewinnen, entgegnete Reul: „Dafür brauchen wir keine guten Ratschläge von der Bundesregierung.“
Zuvor hatte bereits der Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP, Oliver Malchow, Spahn Aussagen kritisiert: „Es ist nicht nachvollziehbar, wenn Bundespolitiker eine Schieflage von Recht und Ordnung anprangern, wo sie es eigentlich mit in der Hand haben, diese Missstände seit Jahren zu verändern.“ An bestimmten kriminellen Brennpunkten sei eine massive Polizeipräsenz nötig, es fehle aber an Personal.
Spahn hatte in der „Neuen Zürcher Zeitung“ beklagt, der Staat habe in den vergangenen Jahren nicht mehr ausreichend für „Recht und Ordnung“ sorgen können. „Schauen Sie sich doch Arbeiterviertel in Essen, Duisburg oder Berlin an. Da entsteht der Eindruck, dass der Staat gar nicht mehr willens oder in der Lage sei, Recht durchzusetzen“, sagte der CDU-Politiker. FDP-Chef Christian Lindner schrieb auf Twitter: „Spahn sorgt sich um 'Recht und Ordnung'. Ich sorge mich um seine Erinnerung“ – die Union stelle seit 2005 den Bundesinnenminister.
Grüne und Linke warfen Spahn vor, seine eigentlichen Aufgaben zu vernachlässigen. Vom Gesundheitsminister erwarte er, „dass er die Missstände in seinem Verantwortungsbereich anpackt und nicht täglich eine neue Sau durchs Dorf treibt oder sich als Grenzposten profiliert“, schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, auf Twitter. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte, um die Aufgaben eines Ministers für Gesundheit und Pflege kümmere sich gerade keiner. „Der sollte, redet über Grenzen und so“, schrieb sie und weiter auf Twitter: „Man sollte dem Jens #Spahn endlich eine Aufgabe geben, bei der es richtig viel zu tun gibt für die Bürgerinnen und Bürger des Landes: Minister für Gesundheit und Pflege zum Beispiel. Macht gerade keiner.“
Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte, Spahns Äußerungen zeigten, „wie unernst der angeblich neue pro-europäische Kurs der Bundesregierung gemeint war“. Der CDU-Politiker hatte auch Ungarns rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban für den Schutz der europäischen Außengrenze gelobt. Orban bange um seine Macht, sagte Baerbock, „und sofort ist Rechtsausleger Jens Spahn zur Stelle und leistet Wahlkampfhilfe. Dabei tritt Orban in Ungarn europäische Grundrechte mit Füßen.“
Verärgert über Spahn zeigte sich auch Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD). Er warf Spahn „Pauschalurteile“ vor, die von „Ahnungslosigkeit“ zeugten. Auch würdige der Minister die Arbeit von vielen Menschen vor Ort herab, sagte Link laut einer Mitteilung. „Ich finde es ist unverschämt und unwahr, der Polizei zu unterstellen, in bestimmte Viertel nicht mehr zu gehen. Das Gegenteil ist der Fall“, erklärte Link.
Unterstützung bekam Spahn dagegen aus den Reihen von CDU und CSU. In Bundesländern, in denen die SPD regiere oder lange regiert habe, gebe es „erheblichen Nachholbedarf“ bei der Polizei, sagte CDU-Innenpolitiker Stephan Harbarth. „So ist etwa in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz die Polizeidichte ganz besonders gering.“ Dagegen gebe es „in vielen unionsgeführten Ländern und gerade in Bayern“ eine niedrige Kriminalitätsbelastung und hohe Aufklärungsquoten.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der Bild-Zeitung: „In manchen Bundesländern kann man den Eindruck bekommen, dass linke Chaoten eher geschützt als bestraft werden.“ Wenn die Polizei in manchen Bundesländern nur mangelnden politischen Rückhalt genieße, „gibt der Staat einen Hebel zur Rechtsdurchsetzung aus der Hand“.
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