Rüddel: Jamaika wäre leichter als es mit der SPD war Tobias Lau, 28.09.2021 15:44 Uhr
Wie geht es nach der Bundestagswahl mit Gesundheitspolitik weiter? Das hängt natürlich ganz wesentlich von den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen ab. Doch egal, ob Ampel oder Jamaika, der Fahrplan für die nächste Legislaturperiode sei gesetzt und unter den Parteien im Bundestag herrsche kein Dissens, welche Projekte angegangen werden müssen, sagt der Noch-Vorsitzende des Bundesgesundheitsausschusses, Erwin Rüddel (CDU). Seinen Posten will er behalten – und geht davon aus, dass der Union das Regieren mit Grünen und FDP leichter fallen würde als bisher mit der SPD.
Die Wetten stehen momentan eher auf einer SPD-geführten Bundesregierung, doch CDU-Gesundheitspolitiker Erwin Rüddel gibt die Hoffnung noch nicht verloren. „Das Wahlergebnis ist deprimierend und enttäuschend“, räumt er ein, will die Hoffnung aber noch nicht verloren geben. „Jamaika ist eine realistische Perspektive“, sagt Rüddel und verweist darauf, dass das Zustandekommen einer neuen Bundesregierung auch ganz wesentlich von den Liberalen abhängt. Und für die sei das Kalkül klar: „Für die FDP lautet sicherlich bei einer Ampel die Frage, wie erfolgreich sie in diesen vier Jahren ihre Positionen durchsetzen kann, um 2025 aussichtsreich in den Wahlkampf ziehen zu können.“ Bei zwei so großen Partnern, die sich in den meisten Punkten einig sind, bestehe die Gefahr, dass die FDP sich nicht ausreichend durchsetzen kann und die Erwartungen enttäuscht, die ihre Wähler in sie setzen.
„Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass wir mit Grünen mit FDP eine gemeinsame Regierung bilden können. Meine Perspektive ist Jamaika“, so Rüddel. Probleme hätte er mit dem Szenario jedenfalls nicht, versichert er. Ganz im Gegenteil: Es sei leichter, mit den Grünen zu regieren als mit den Sozialdemokraten. „Die Grünen sind ein wesentlich stabilerer Partner als die SPD. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten schon vor vier Jahren Jamaika gemacht und keine große Koalition“, so Rüddel. Denn die SPD habe viele Vorhaben der vergangenen vier Jahre gebremst. „Wir haben in der Gesundheitspolitik viele Reformprojekte auf den Weg gebracht, Jens Spahn war sehr dynamisch, das war aber immer mit großen Kraftanstrengungen verbunden, um den Partner auf Kurs zu halten. Eine Koalition mit den Grünen würde ich auch aus der Erfahrung der Zusammenarbeit der letzten Jahre heraus gegenüber der SPD bevorzugen. Die Grünen haben gewisse Erfahrungswerte, was möglich ist und was nicht.“
Dass sich die Regierungsfähigkeit der SPD nach ihrem Wahlsieg am Sonntag verbessert hat, glaubt Rüddel dabei nicht: „Ich habe die SPD in den letzten vier Jahren nicht als homogene Gruppe wahrgenommen und bei so vielen Jusos in der neuen Fraktion kann ich mir nicht vorstellen, dass das zu einer Stärkung führt.“ Er glaube, dass Olaf Scholz „da auch noch eine harte Nuss zu knacken hat“, falls er den Kurs durchsetzen will, den er im Wahlkampf vertreten hat.
Für Rüddel, der sein Direktmandat im Wahlkreis Neuwied in Rheinland-Pfalz mit 31,9 Prozent verteidigen konnte, geht es mit der Frage nach der künftigen Regierung auch um seinen Posten als höchster Gesundheitspolitiker der Legislative. „Wenn ich mir etwas aussuchen könnte, würde ich gern Vorsitzender des Bundesgesundheitsausschusses bleiben“, sagt er. Allerdings sei es eine schwierige Gemengelage, die nun zwischen Parteien und Landesgruppen ausgehandelt wird. „Ich denke, in den nächsten vier Wochen wird es da eine gewisse Klarheit geben. Sollte ich eine Chance haben, werde ich zur Verfügung stehen.“
Ob so oder so: Wie sein Fraktionskollege Michael Hennrich vermutet Rüddel in der Gesundheitspolitik trotz großer Aufgaben keine allzu großen Kontroversen, die eine Regierungsbildung verhindern könnten. „Ich sehe bei der Gesundheitspolitik eine große Beständigkeit über die Parteigrenzen hinweg.“ Es gebe „keinen Dissens“, welche die wichtigsten Themen sind, sagt er und nennt fünf Bereiche, die die nächste Legislaturperiode dominieren würden: „Erstens, die Krankenhausreform: Den Krankenhäusern steht zu wenig Geld zur Verfügung. Das Hauptproblem ist dabei, dass die Länder ihren Finanzierungsverpflichtungen nicht nachkommen, also müssen wir entscheiden, wer die Lücke zahlt – der wird dann aber auch mitbestimmen dürfen.“
Das zweite wichtige Thema, bei dem es über Parteigrenzen hinweg keinen Dissens gebe, sei ist die ärztliche Notfallversorgung. „Da ist die Frage, wer den Hut aufhat – die KVen oder die DKG. Hier müssen wir, auch mit neuen Mitteln wie Künstlicher Intelligenz, eine bessere Patientensteuerung ermöglichen.“ Drittens müsse die Gesundheitspolitik schauen, wie sie Sektorengrenzen abbauen könne und sich viertens auf die Digitalisierung konzentrieren, „denn die ist das A und O für eine funktionierende flächendeckende Versorgung“, so Rüddel. Das fünfte große Thema sei der Datenschutz: „Das europäische Datenschutzrecht lässt viele Innovationen zu, wird aber in Deutschland sehr eng ausgelegt. Wir müssen uns intensiv damit beschäftigen, wie wir das in Deutschland praktikabler umsetzen können“, fordert er. „Da wir auch über das E-Rezept und die ePA diskutieren, wird eine Datenschutzdebatte unumgänglich sein. Wir müssen das System flexibler und vernetzter gestalten.“