Hilfstaxe

Rückwirkende Rabatte: Retax-Welle überrollt Zyto-Apotheken Lothar Klein, 07.07.2020 10:30 Uhr

Zyto-Apotheker haben derzeit mit saftigen Retaxierungen zu kämpfen. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Auf die Zyto-Apotheken rollt eine neue Retax-Welle zu. Seit Anfang Juli erhalten zahlreiche Apotheker rückwirkende Retaxationen in schmerzhafter vierstelliger Höhe. Der Grund: Ende Januar beschloss die Mitgliederversammlung des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) eine Anpassung der Hilfstaxe. Diese trat zum 1. März in Kraft. Für elf Wirkstoffe wurden damit rückwirkende Rabatte bis zu 25 Prozent vereinbart. Die werden jetzt von den Krankenkassen eingefordert.

„Meine Zyto-Kollegen und mich erreichen seit letzter Woche eine Retaxwelle unverschämten Ausmaßes. Vermutlich ist keinem die Größenordnung bewusst. Eine bereits abgeschlossene Abrechnung wieder zu öffnen und Kürzungen in solchen Höhen als zulässig zu erklären, das gibt es wohl in keiner Branche“, wendet sich ein betroffener Apotheker an APOTHEKE ADHOC. Über die Gesellschaft für Statistik im Gesundheitswesen (GFS) erhielt dieser Apotheker Retaxationen für die Barmer in Höhe von 8821,95 Euro und für die KKH in Höhe von 3330,74 Euro für die zwei Wirkstoffe Pemetrexed und Bortezomib. „Ich frage wirklich: wo soll das noch hinführen?“, so der Apotheker.

Und es könnte noch schlimmer kommen: denn laut Anpassung der Hilfstaxe zum 1. März müssen für elf Wirkstoffe rückwirkende Rabatte bis zu 25 Prozent wie für den Wirkstoff Treosulfan gewährt werden, die teilweise bis zum 15. April 2018 (etwa bei Trastuzumab) zurückgreifen. Vorher mussten Apotheken für Trastuzumab einen Rabatt von 1 Prozent gewähren. Dieser stieg laut Anpassung der Hilfstaxe auf 10 Prozent rückwirkend zum April 2018. Ab März 2020 gilt ein Rabatt von 20 Prozent. Die rückwirkende Erhöhung des Rabatts auf 10 Prozent kann nach Einschätzung von Branchenkennern Apotheken bis zu 30.000 Euro kosten.

Bereits im Februar hatte die Arbeitsgemeinschaft Parenterale Zubereitungen (Arge PareZu) auf diese Probleme hingewiesen und die Änderungen scharf kritisiert: „Viele Regelungen der neuen Hilfstaxe gefährden die wohnortnahe, kleinteilige Versorgung mit parenteralen Zubereitungen“, so Apotheker Dr. Franz Stadler schon vor Monaten: „Gerade kleinere Produzenten werden durch rückwirkende Rabattierungen, zu komplizierte Regelungen und zu niedrige Arbeitspreise in ihrer Existenz bedroht.“ Dabei seien es genau diese zubereitenden Apotheken, die die notwendige Adhoc-Versorgung mit kurzen Transportwegen und unter Einhaltung aller Haltbarkeitsvorgaben der Hersteller überhaupt ermöglichten. Insgesamt könne die faktische Fortschreibung eines ohnehin mangelhaften Schiedsspruches und dessen Anerkenntnis durch den DAV nur „als schwerer Fehler und vertane Chance bezeichnet werden“. „Dieses Zwischenergebnis muss als Kapitulation vor den Positionen des GKV-Spitzenverbandes interpretiert werden“, so die Arge PareZu und forderte deshalb eine Neuverhandlung des momentanen Ergebnisses und dringend eine Professionalisierung der Verhandlungsführung mit dem GKV-Spitzenverband.

Die Arge Parezu kritisierte, dass die Arbeitspreise der Hilfstaxe unverändert bleiben, obwohl durch zwei unabhängig durchgeführte Studien gezeigt worden sei, dass der aktuelle Arbeitspreis angesichts der zu erfüllenden qualitativen Ansprüche viel zu niedrig angesetzt sei. Die Arge Parezu forderte eine Anhebung auf einheitlich 130 Euro. Auch beim Thema „Verwürfe“ gebe es keine Fortschritte, obwohl die Umständlichkeit der Prüfung und der Abrechnung der unvermeidbaren Verwürfe in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt habe. Weiterhin gebe es kein kassenübergreifendes „Verwurfsrezept“. Vor allem aber die rückwirkende Gewährung von Rabatten sieht die Arge Parezu als Existenzrisiko für kleinere Apotheken.

Mehr noch: „Besonders ärgerlich ist zudem, dass dieser in der deutschen Industriegeschichte wohl einmalige Vorgang auch für die Zukunft fortgeschrieben wurde“, so die Arge Parezu. So erlaube die neue Vereinbarung für Wirkstoffe, die nach dem 1. März 2020 erstmalig in den Markt eingeführt werden, erneut eine rückwirkende Rabattierung in der Höhe bestimmt nach den Zahlen, die der GKV-Spitzenverband dann ermittele. Diese Rückwirkung soll für einen Zeitraum von 16 Monaten gelten.

Mit den neuen Änderungen werde die Hilfstaxe immer komplizierter und fehleranfälliger, kritisiert die Arge Parezu. Ein Wechsel der Systematik sei dem DAV wieder nicht gelungen. Die Gefahr von Retaxationen gerade für kleinere herstellende Apotheken wachse. Nach wie vor bestehe der Hauptzweck der Hilfstaxe in der Festsetzung der Rabatthöhe auf einzelne Wirkstoffe. Da mit den Biosimilars eine neue, bisher in fast allen Fällen nicht austauschbare Wirkstoffgruppe Einzug gehalten habe, würden die Rabattsätze noch unübersichtlicher als bisher. Selbst mengenmäßig unbedeutende Wirkstoffe wie Treosulfan oder Streptozocin würden einzeln geregelt. Zudem seien im generischen Bereich inzwischen Rabatthöhen bis zu 83,7 Prozent erreicht worden, die zu immer mehr Lieferengpässen bei der Versorgung führen.

Nach langem Streit hatten Apotheker und Kassen im Oktober 2018 einen Vergleich zur Hilfstaxe geschlossen: Der DAV zog seine Klage gegen den Schiedsspruch zurück, im Gegenzug stimmte der GKV-Spitzenverband zu, dass die neuen Konditionen erst ab Februar 2018 gelten und nicht wie ursprünglich beschlossen rückwirkend ab November 2017. Die Schiedsstelle hatte am 19. Januar 2018 einen Schiedsspruch zur Preisvereinbarung für parenterale Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie gefällt, der sogenannten Hilfstaxe. Diese soll jetzt mit dem Beschluss der DAV-Mitgliederversammlung angepasst werden.