Seit gut zwei Monaten ist der Retax-Kompromiss unter Dach und Fach. Strittig ist aber noch immer der Stichtag, zu dem die Anpassung des Rahmenvertrags in Kraft treten. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) sieht davon alle noch nicht abgeschlossenen Fälle erfasst, einige Kassen sehen das anders. Der Vorsitzende der Schiedsstelle, Dr. Rainer Hess, will sich zur Auslegung derzeit nicht äußern, wäre aber zu einer Klarstellung bereit: „Wenn die Vertragsparteien eine Klarstellung wünschen, müssen sie die Schiedsstelle anrufen.“ Der DAV bereitet nach Informationen von APOTHEKE ADHOC einen Antrag zur Klärung seitens der Schiedsstelle vor.
DAV und GKV-Spitzenverband hatten sich nach langen Verhandlungen Ende Mai im Schiedsverfahren auf einen neuen Rahmenvertrag verständigt. Apotheker dürfen jetzt bestimmte Angaben auf dem Rezept selbst ergänzen, etwa die Betriebsstättennummer des Arztes oder die Kassen-IK. Viele Formfehler können nach Rücksprache mit dem Arzt behoben werden, bei anderen wird eine Retaxation ausgeschlossen. Eine nachträgliche Heilung ist aber weiterhin ausgeschlossen, sobald das Rezept bei der Krankenkasse ist.
Der Beschluss ist am 1. Juni in Kraft getreten. Beim DAV geht man davon aus, dass das Retax-Prozedere damit sofort umgestellt wird. „Die Neuregelung gilt für alle Beanstandungen, die künftig ausgesprochen werden oder bei denen das Beanstandungsverfahren noch nicht abgeschlossen wurde“, sagte ein DAV-Sprecher direkt nach der Einigung Ende Mai. Heute bekräftigte er diese Haltung: „Wir bleiben bei unserer Position und gehen davon aus, dass die Position der Gegenseite nicht korrekt ist.“
Während man beim DAV also davon ausgeht, dass die Absprache rückwirkend gilt, fühlen sich einige Kassen erst seit dem 1. Juni an die neuen Regeln gebunden. Die aktuell laufenden Prüfungen der Rezepte aus dem vergangenen Herbst werden bei diesen Kassen nach den alten Regeln durchgeführt.
Aus Hess' Sicht ist die Sache eindeutig. Für ihn sei die Vereinbarung auch in Bezug auf den Stichtag klar, sagte er gegenüber APOTHEKE ADHOC. Der DAV hat noch nicht um eine öffentliche Klarstellung gebeten, dem Vernehmen ist dies aber in Arbeit. Sollte Hess den Retax-Deal im Sinne der Apotheker dann für rückwirkend gültig erklären, müssten entsprechende Retaxationen rückabgewickelt werden. Apotheker sollten bis zu einer Klärung besser Einspruch gegen solche Absetzungen einlegen.
Zumindest auf Seiten des Ersatzkassenverbandes (vdek) gibt es die Haltung, den neuen Rahmenvertrag erst ab Juni umzusetzen. Die DAK-Gesundheit hat die Apotheker bereits darüber informiert, dass alte Retaxationen Bestand haben und verfährt in der Praxis auch so. Auf Nachfrage erklärte die Kasse, dass damit auch nicht abgeschlossene Verfahren gemeint sind: „Bei uns werden alle nach dem 1. Juni ausgesprochenen Retaxationen nach den neuen Regeln behandelt, laufende Beanstandungsverfahren aber nach dem alten Rahmenvertrag“, so ein Sprecher der Kasse gegenüber APOTHEKE ADHOC.
Gleiches Bild bei der KKH: „Die Neureglung des Rahmenvertrages wird für Rezepte, die nach dem 1. Juni 2016 abgerechnet werden, angewendet. Für laufende Verfahren beziehungsweise Retaxationen der Vergangenheit finden die Neuregelungen keine Anwendung.“ Auch für die Barmer GEK ist klar: Alle Fälle vor dem Stichtag im Juni würden nach den alten Regeln abgerechnet. „Entscheidend ist das Abgabedatum auf dem Rezept“, erklärte ein Sprecher der Kasse.
Der GKV-Spitzenverband hält sich bedeckt: „Wir gehen davon aus, dass Retaxationen stets mit Augenmaß durchgeführt werden. Der Beschluss der Schiedsstelle ist am 1. Juni in Kraft getreten. Eine Regelung zu der aufgeworfenen Frage ist in diesem Beschluss nicht enthalten“, so ein Sprecher zur Frage der laufenden Retax-Verfahren. In der Praxis wurden noch im Juni Retaxationen ausgesprochen, die sich auf mittlerweile ausgeschlossene Beanstandungen beziehen – etwa der fehlenden Begründung bei pharmazeutischen Bedenken.
Bei den drei unparteiischen Vorsitzenden Dr. Rainer Hess, Professor Dr. Ingwer Ebsen und Professor Dr. Christian Starck war der Umgang mit dem Starttermin intern Thema. Eindeutig liegt der Fall Hess zufolge bei bestimmten Formfehlern. Dazu zählt der Schiedsstellenvorsitzende fehlerhafte Abkürzungen, Schreibfehler oder eine Dosierungsanleitung nach dem Schema 1-0-1 statt morgens und abends.
In diesen Fällen hätten die allermeisten Krankenkassen bereits in der Vergangenheit nicht retaxiert, so Hess. „Sofern es sich um eine Klarstellung handelt, gilt es auch für laufende Verfahren“, stellte der Schiedsstellenvorsitzende klar.
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