In Saarlouis sorgte die Schaufenster-Dekoration einer Apotheke für politischen Zündstoff. Die Glocken-Apotheke hatte wie bereits vor fünf Jahren Auszüge aus einem Mundart-Buch als Texttafeln aufgestellt. Zwei Monate blieben die Schimpfwörter in Saarlouiser Mundart ohne negative Reaktion. Erst nach einem Facebook-Post schaltete sich Oberbürgermeister Peter Demmer (SPD) und der Integrationsbeirat der Stadt ein. Apothekerin Ulrike Thiele entfernte die anstößige Texttafel sofort aus ihrer Dekoration.
Unter anderem gab es auf den Texttafeln die Kategorie „Anders-Artige“. Begriffe wie „Ittacker“ oder „Kammeeltreiwer“, „Saarfransoos" oder „Ziggeiner“ standen darauf zu lesen. Vor allem auf Facebook empörten sich Bürger darüber, dass sich darin Fremdenfeindlichkeit widerspiegle. Dann schauten zwei Mitglieder des Integrationsrates persönlich in der Glocken-Apotheke vorbei. „Ich nehme das ernst, ich kann verstehen, dass Leute das nicht als Zeitdokument betrachten“, so Thiele und entfernte die Texttafel umgehend aus dem Apotheken-Schaufenster. Die Saarbrücker Zeitung griff den Fall auf, die Bild-Zeitung ebenfalls und sogar das Saarländische Fernsehen.
Am meisten getroffen hat Apothekerin Thiele aber in einem Facebook-Posting ein Bezug zu Nazi-Zeiten: „Damit habe ich nun überhaupt nichts zu tun. Das verletzt mich sehr. Warum können die Menschen mit ihrer Kritik nicht direkt in meine Apotheke kommen und mit mir persönlich über die Dekoration sprechen“, so Thiele. Für ihren eigenen Fauxpas entschuldigt sich die Apothekerin.
Natürlich schaltete sich auch die Lokalpolitik in die Deko-Diskussion ein. Oberbürgermeister Demmer äußerte sich: „Am vergangenen Wochenende wurde ich auf die Gestaltung eines Apothekenfensters in Saarlouis aufmerksam gemacht, die zu Recht für viel Unmut gesorgt hat. Auf einer Schrifttafel sind dort zahlreiche saarländische Mundartbegriffe gesammelt, unter anderem auch solche, die hier ohne weitere Erklärung ethnische Gruppen diffamieren. Unter diesen Begriffen hatten viele Menschen jahrzehntelang zu leiden und anhand der emotionalen Reaktionen erkennt man leicht, dass diese Gefühle unter den Betroffenen noch heute sehr präsent sind“, sagte Demmer gegenüber der Saarbrücker Zeitung. „Saarlouis ist Europastadt, wir stehen für Offenheit und ein gelebtes Miteinander und dort, wo Menschen verletzt werden, hat auch jeder Spaß ein Ende. Wir haben uns heute Morgen mit der Betreiberin in Verbindung gesetzt, und das Plakat wurde dankenswerterweise umgehend aus dem Schaufenster entfernt“, heißt es in der Stellungnahme. Ebenso positionierte sich Demmer auch auf Facebook.
Das wiederum stieß bei CDU und Grünen auf Kritik: Es sei „unprofessionell und zeugt von schlechtem Stil, dass Oberbürgermeister Peter Demmer, der SPD-Fraktionsvorsitzende Hakan Gündüz und der Integrationsbeirat die Apotheke via Facebook an den Pranger stellen“, kritisierte der Vorsitzende der CDU Innenstadt, Carsten Quirin. „Mittlerweile haben die Beiträge zu landesweiter Berichterstattung in den sozialen Medien geführt und zum Teil einen Shitstorm gegenüber den Pächtern der Apotheke ausgelöst. Demmer hätte das auch in einem persönlichen Gespräch mit der Apotheke klären können.“ Er warf dem SPD-Fraktionschef Hakan Gündüz eine „üble Unterstellung“ gegenüber den Pächtern und den beiden Mundartautorinnen Edith Braun und Karin Peter vor. Gündüz habe ihnen auf Facebook „bewusst rassistische Beleidigungen“ vorgeworfen.
Denn die Schimpfwörter entstammen in der Tat dem Nachschlagewerk Buch „Von Aabääter bis Zwuurwel mit Schimpfwörtern von Karin Peter und Edith Braun, „zwei Mundart-Ikonen des Saarlandes, wie Apothekerin Theile beteuert. Außerdem habe sie dieselbe Dekoration bereits vor fünf Jahren für ihre Apotheke benutzt – damals nicht nur unbeanstandet, sondern nach Thieles Erinnerung nur mit positiven Rückmeldungen aufgenommen. Sogar der damalige Oberbügermeister Roland Henz habe sich „begeistert“ gezeigt. Auch mit ihrem Dekorateur habe sich sie vor der erneuten Verwendung der Texttafeln über die Mundart-Schimpfwörter gesprochen und sich erkundigt, ob es damals Kritik daran gegeben habe, berichtet Thiele.
Insofern habe sie die aktuellen Reaktionen sehr erstaunt. Allerdings: „Die Menschen sind in der Corona-Krise dünnhäutiger geworden“, hat Apothekerin Thiele beobachtet. In der deutsch-französischen Grenzregion sei durch die strengen Kontrollen teilweise „böses Blut“ entstanden. Inzwischen hat sie aber das Gespräch mit dem Oberbürgermeister und dem Integrationsrat der Stadt gesucht und die entsprechende Tafel entfernt. Thiele: „Zu keiner Zeit habe ich jemanden beleidigen wollen und bitte um Entschuldigung.“
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