Randnotiz

KKH-Ermittlerin: Jeder Zweite ist korrupt

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Berlin -

Wer sich berufsmäßig mit Betrug und Korruption beschäftigt, mag leicht den Glauben an das Gute im Menschen verlieren. Und vielleicht hat KKH-Chefermittlerin Dina Michels auch einfach schon zu viel gesehen. Aber was sie im Interview mit der Berliner Zeitung von sich gegeben hat, stimmt dann doch nachdenklich. Aus ihrer Sicht ist jeder Zweite in der Branche korrupt. Und die Justiz politikgesteuert. Und die Politik naiv. Eine Gegenpolemik.

Die KKH-Juristin kennt Luftrezepte, Zuweisung und Gewinnbeteiligung, vor allem aber betrügerische Physiotherapeuten. Sie zitiert „Schätzungen aus der Branche“, wonach mehr als die Hälfte aller Akteure im Gesundheitswesen in „illegale Machenschaften“ verwickelt ist. Das erscheine ihr plausibel. Da die Zahl nicht weiter hinterfragt wird, bleibt unklar, ob Krankenkassenmitarbeiter ebenfalls in diese Kategorie fallen.

Die Losung des Interviews ist: „Das deutsche Gesundheitswesen ist korrupt.“ Man müsse es leider so sagen, muss Michels im BZ-Interview leider so sagen. „Und das Schlimme ist, dass viele dabei noch nicht einmal ein Unrechtsbewusstsein haben. Null.“ Und weiter: „Und da so wenige erwischt werden, denken sie auch nicht daran, sich endlich mal eins zuzulegen.“

Zusammengefasst: Menschen, denen man nicht nachweisen kann, etwas Verbotenes gemacht zu haben, haben deswegen kein schlechtes Gewissen. Und obwohl die KKH nicht weiß, ob diese Leistungserbringer wirklich korrupt waren, ist die Kasse sicher, dass viele kein Unrechtsbewusstsein haben. Die Logik ist bestechend.

Dass von den reinen Gewissens Korrupten so viele nicht erwischt werden, ist aus Sicht der KKH-Ermittlerin der Unkenntnis der Staatsanwälte geschuldet. Die würden die Brisanz eines Falles oft gar nicht sehen, so Michels.

Und wenn dann mal doch? Dann verbietet in der Welt der KKH die Politik den Staatsanwälten weitere Ermittlungen: „Immer wieder wird über Leistungserbringer eine schützende Hand gehalten, weil es große Arbeitgeber sind oder irgendwelche Netzwerke bestehen.“ Wer damit wohl gemeint ist? Womöglich die Großunternehmer unter den Physiotherapeuten und Hebammen.

Egal, wer mit vernetzt ist: „Die Ermittlungsbehörden müssen dann kuschen, sie sind weisungsgebunden“, sagt Michels. Wenn der Staatsanwalt am Telefon von Gesprächen in der Behörde oder mit dem Ministerium druckst, dann weiß sie schon Bescheid.

Der „Klassiker“ beim Betrug sind Michels zufolge immer noch „Luftleistungen“. „Findige Apotheker“ etwa, die in die leeren Rezeptzeilen teure Medikamente hinzufügen, wenn noch Platz ist. „Oder sie arbeiten mit Ärzten zusammen und teilen sich die Gewinne aus fingierten Luftrezepten.“ Am Rande: Gibt es auch nicht fingierte?

Auch hier ist Michels' Interpretation etwas einseitig, wenn sie die aus ihrer Sicht schlaffe Sanktionierung moniert. Leistungserbringer seien zwar „zur sogenannten peinlich genauen Abrechnung verpflichtet“. Am Rande: Wer nennt das so? Der Gesetzgeber? Das Bundessozialgericht? Oder doch nur die KKH?

Jedenfalls müssten die Leistungserbringer „nur die Vergütung“ zurückzahlen, wenn die Rechnung aus Versehen falsch ist. Dass diese Rechnung im Retax-Einzelfall fünfstellig sein kann und mitnichten nur das Apothekenhonorar umfasst, verschweigt Michels geflissentlich. In der Branche nennt man das „Luftversorgung“.

Die Politik ist Michels zufolge nicht gewillt, das intransparente System zu ändern. Den Gesetzgeber findet sie „naiv und fahrlässig“. Das Anti-Korruptionsgesetz sei ja auch auf den letzten Metern noch entschärft worden. An seinen Erfolg mag Michels nicht mehr so recht glauben. Ihr Fazit klingt reichlich defätistisch: „Das Gesundheitswesen ist so ein Sumpf, dass ich nur wenig Hoffnung habe. Wer clever ist, wird nicht entdeckt. […] Ein sauberes System werde ich wohl nicht mehr erleben.“ Auch wenn das traurig klingt. Man muss kein Mitleid haben. Das war nur eine Schätzung aus der Branche.

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