Die Selbstverwaltung bekommt noch eine Chance: Apotheker und Kassen sollen Nullretaxationen aufgrund formeller Fehler untereinander klären. Die Regeln sollen also nicht im Gesetz, sondern im Rahmenvertrag konkretisiert werden. Gut so, findet Britta Marquardt, Leiterin des Geschäftsbereichs Wirtschaft, Soziales und Verträge bei der ABDA. Auch wenn es oft mühsam ist, sich am Verhandlungstisch zu einigen, glaubt sie an das Instrument des Rahmenvertrags.
Es war einfach schlechtes Timing. Seit Anfang 2012 hatten der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband über einen neuen Rahmenvertrag verhandelt. Endlich war im Sommer 2013 ein Kompromiss zu Nullretaxationen gefunden, der für beide Seiten noch erträglich schien. Doch dann entschied das Bundessozialgericht (BSG) am 2. Juli 2013, dass Nullretaxationen gerechtfertigt sind, wenn sich Apotheker nicht an die Rabattverträge halten.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Chefs der Krankenkassen druckfrisch die Übereinkunft der Verhandlungskommission auf ihren Schreibtischen liegen. Und die Entscheider zogen ihren Gremienvorbehalt. Der GKV-Spitzenverband schrieb wenig später an den DAV, man halte es für die Mitgliedskassen für unzumutbar, eine Regelung zu vereinbaren, die der aktuellen Rechtsprechung widerspreche. „Deshalb gibt es immer noch den Rahmenvertrag in der Fassung vom 1. Februar 2011“, sagte Marquardt bei der Interpharm.
Seitdem habe es keine nennenswerten Änderungen gegeben, obwohl es durchaus Bedarf für Anpassungen und eine Weiterentwicklung gebe. Denn die Abgabe von Arzneimitteln sei eine hochkomplexe Angelegenheit geworden, so Marquardt. Die Apotheker müssten nicht nur den Rahmenvertrag beachten, sondern auch die Vorgaben der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV), die Substitutionsausschlussliste und die Rabattverträge, außerdem besondere Vorgaben zu Betäubungsmitteln und Medizinprodukten.
Die korrekte Belieferung eines Rezeptes sei nur noch mit einer aktuellen Software in den Apotheken möglich, so Marquardt. Außerdem müsse der ABDA-Artikelstamm gültige Informationen bereitstellen. „Anders ist eine Versorgung kaum noch, oder gar nicht mehr möglich“, so die ABDA-Vertragsspezialistin. Zu Ärger in den Apotheken führe, dass die EDV-Systeme der Ärzte oft nicht auf dem aktuellsten Stand seien, Änderungen würden aufgrund unregelmäßiger Updates nicht am Stichtag eingepflegt. Da nütze es nur wenig, dass die Software der Apotheker in 99 Prozent der Fälle das Richtige anzeige.
Mit dem eHealth-Gesetz sollen jetzt die Aktualisierungszeiträume für die Praxissoftware verkürzt werden. Aktuell würden den Ärzten aktuelle Preis- und Produktinformationen nicht immer zur Verfügung stehen, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs. Die Regelung soll auch dazu beitragen, „die unnötige Retaxation von Apotheken zu vermeiden“, heißt es weiter.
Auch wenn die Ärzte „nicht gerade amüsiert“ gewesen seien, Vorschriften für die Aktualisierung der Software zu bekommen, freut sich Marquardt über die Pläne: „Es ist bemerkenswert, dass der Gesetzgeber sieht, dass es ohne korrekte Software nicht geht.“
Doch damit ist noch lange nicht geklärt, ob eine Nullretaxation im Einzelfall „berechtigt, notwendig und angemessen“ ist. Denn abgesehen vom Verordnungsverhalten der Ärzte variierten die Auslegungen der gesetzlichen Vorschriften und Verträge, so Marquardt. „Es gibt offensichtlich unterschiedliche Philosophien bei den Krankenkassen, wie mit Retaxationsmöglichkeiten umgegangen wird“, so die Juristin.
Trotz kritischer Bemerkungen von Politikern glaubt der Gesetzgeber aus Sicht der ABDA weiterhin an die Selbstverwaltung. Das eHealth-Gesetz und das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) seien dahingehend wichtige Signale. „Unter der Hochzeit Ulla Schmidt gab es ganz andere Tendenzen“, so Marquardt. Die ehemalige SPD-Gesundheitsministerin habe das System weg von der Selbstverwaltung und hin zu mehr staatlichen Regeln entwickelt. Ihr sei es anders lieber, so Marquardt.
Mit dem GKV-VSG werden die Verhandlungen über Nullretaxationen jetzt erneut an die Selbstverwaltung zurückgegeben. Immerhin setzt der Gesetzgeber den Vertragspartnern eine Frist: Gibt es innerhalb eines halben Jahres keine Einigung, entscheidet die Schiedsstelle. Das sei ein hoher Auftrag an die Selbstverwaltung, sagt Marquardt. Der Gesetzgeber wirke so an der Weiterentwicklung des Rahmenvertrags mit, der eben nicht nur für die Wirtschaftlichkeit da sei, sondern auch für die Versorgung der Patienten.
Allerdings sei nicht immer alles im Rahmenvertrag zu regeln. Marquardt nannte beispielhaft die Aut-idem-Liste. DAV und GKV-Spitzenverband waren vom Gesetzgeber aufgefordert worden, eine Liste mit Wirkstoffen oder Arzneimitteln zu erstellen, die in der Apotheke nicht mehr substituiert werden dürfen. Doch die Verhandlungen scheiterten und man floh gemeinsam zur Schiedsstelle. Nachdem diese das Substitutionsverbot für Ciclosporin und Phenytoin beschloss, erteilte der Gesetzgeber einen neuen Auftrag – diesmal an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).
Der DAV verhandelt jetzt zwar nicht mehr mit über die Liste, ist aber stellungnahmeberechtigt. Marquardt rechnet damit, dass die Apotheker demnächst aufgefordert werden, zur zweiten Runde von Wirkstoffen ihre Meinung zu sagen. Dennoch beantworte die Liste beantworte aber nicht alle Fragen: „Es ist eine Regel geschaffen worden, die andere Fragen aufwirft“, so Marquardt. Dies betreffe etwa die Abgabe im Notdienst oder den Austausch von Original gegen Reimport.
Noch so ein Thema für die Selbstverwaltung. Als das Sozialgericht Koblenz im Januar 2014 entschied, dass Apotheker Original und Import auch bei bestehendem Rabattvertrag nicht austauschen müssen, wurde die bisherige Praxis auf den Kopf gestellt. Bis dahin galten Original und Import als grundsätzlich substituierbar – auch bei gesetztem Aut-idem-Kreuz.
Das Urteil des Sozialgerichts ist rechtskräftig, gilt aber nur zwischen den Beteiligten – der Schwenninger Krankenkasse und dem damals retaxierten Apotheker. Der DAV und der GKV-Spitzenverband haben lange über die Auswirkungen diskutiert. Das Problem: Die Kassen retaxieren nach dem Urteil unterschiedlich. Einige verlangen einen Austausch auch bei Aut-idem-Kreuz, wenn es etwa über das Originalarzneimittel einen Rabattvertrag gibt. Andere halten sich an die Vorgabe aus Koblenz. Dann können Apotheker Probleme bekommen, wenn der Arzt ein nicht lieferfähiges Importarzneimittel namentlich und mit Kreuz verordnet hat.
Marquardt zufolge muss mit den Kassen eine Lösung gefunden werden, die die Interessen beider Seiten berücksichtigt. Es könne nicht sein, dass sich Apotheker sich je nach Kasse an andere Abgabevorschriften halten müssten. Mit dem Ersatzkassenverband vdek wurde eine Lösung gefunden: Der Austausch bleibt auch bei Aut-idem-Kreuz möglich. Will der Arzt definitiv keine Substitution, muss er dies eigens angeben. Die Mediziner sollen über die neue Importregel informiert werden. Mit dem GKV-Spitzenverband sei man auf gutem Weg, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen, berichtete Marquardt. Das Thema sei aber eben nicht trivial und deswegen sei es auch nicht immer einfach, sich zu einigen.
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