Krankenkassen müssen bei ihren Rabattverträgen auch Reimporteuren eine Chance geben. Das hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) entschieden. Die AOK Baden-Württemberg hatte im Mai Verträge mit Originalherstellern geschlossen, ohne den Auftrag zuvor auszuschreiben. Dieses Vorgehenwar aus Sicht der Richter rechtswidrig.
In den Verfahren ging es um Genotropin (Somatropin) von Pfizer und Extavia (Interferon beta 1-b) von Novartis. Kohlpharma hatte sich gegen die Direktvergabe gewehrt und bei der Vergabekammer des Bundes einen Nachprüfungsantrag gestellt.
Gegenüber der Vergabekammer hatte die AOK mit eigenen Marktuntersuchungen argumentiert, die ergeben hätten, dass Importeure nicht in der Lage seien, den gesamten Bedarf mengenmäßig abzudecken.
Das ließ die Behörde nicht gelten: Die Kasse habe den Importeuren keine Gelegenheit gegeben, ihre Lieferfähigkeit nachzuweisen. Die Vergabekammer erklärte die abgeschlossenen Vereinbarungen für unwirksam und trug der Kasse auf, vor dem Abschluss neuer Verträge ein offenes Verfahren durchzuführen.
Die Beschwerde der AOK gegen die Entscheidung wurde OLG zurückgewiesen. Aus Sicht der Richter hätte die Kasse nicht nur mit dem Originalhersteller verhandeln dürfen. Kohlpharma führe die Präparate nach Deutschland ein – und dürfe dies tun. Daher könne der Reimporteur genauso liefern wie der Originalhersteller. Die AOK habe „in mehrfacher Hinsicht gegen Vergabevorschriften verstoßen“.
In den Verfahren hatte die AOK vergeblich mit der Bedeutung einer kontinuierlichen Versorgung der Versicherten mit ein und demselben Arzneimittel argumentiert – „nach der Regel: keine Experimente durch eine Umstellung der Medikation“. Die Richter sahen jedoch kein Alleinstellungsmerkmal in den Präparaten der Originalhersteller.
Die AOK versuchte außerdem, Mehrleistungen der Pharmakonzerne, wie Langzeitbeobachtungen und Informationsmöglichkeiten für Patienten, geltend zu machen. Das sahen die Richter kritisch: Solche Leistungen habe die Kasse bislang in den Ausschreibungen nicht gefordert. „Sie kann demnach nicht wissen, ob Arzneimittel-Importeure dergleichen nicht ebenfalls anbieten wollen“, heißt es in dem Beschluss.
Das Fazit der Richter: Es gebe keine technischen Besonderheiten, die einen Exklusivvertrag mit dem Originalhersteller rechtfertigten. Die AOK habe lediglich versucht, durch einen „Kunstgriff“ – die Festlegung eines Beschaffungsbedarfs – versucht, eine Besonderheit zu erzeugen: Sie habe die benötigte Gesamtmenge so definiert, dass nur der Originalhersteller zuverlässig liefern könne.
Die derzeitige Vergabepraxis sei daher wettbewerbswidrig und diskriminiere Importeure: Auf lange Sicht würden diese von der Auftragsvergabe ferngehalten oder zumindest ausgegrenzt. „Erforderlich ist dies nicht“, heißt es in den Bechlüssen: Es sei aus Gründen des Mittelstandsschutzes zum Beispiel vorgesehen, Leistungen in Teillose aufzuteilen und getrennt zu vergeben, um möglichst zahlreichen Unternehmen eine Teilnahme am Vergabeverfahren zu gestatten.
Die von der AOK vorgebrachten Bedenken, die Importeure könnten die verlangten Mengen nicht liefern, hielten die Richter zwar für deutlich nachvollziehbar und gewichtig. Die Kasse müsse aber – um Wettbewerb zu ermöglichen – auch Vergabeformen und Handlungsmöglichkeiten prüfen und anwenden, durch die Zweifel an der Eignung der Importeure aus dem Weg geräumt werden könnten, heißt es in dem Beschluss.
Als Beispiel werden erneut Teillose genannt, aber auch die Möglichkeit, mit mehreren Herstellern Verträge zu schließen. Außerdem könne die Kasse Lieferbeziehungen und –mengen abfragen und sich bestätigen lassen. Solche Instrumente habe die AOK nicht zureichend genutzt und sei stattdessen „zielstrebig“ auf einen Vertragsschluss mit dem Originalhersteller zugesteuert, kritisierten die Richter.
Die Beschlüsse sind rechtskräftig. Inwiefern von der Entscheidung auch andere Rabattverträge betroffen sind, ist offen. Die AOK wollte zu den Verfahren keine Stellung beziehen.
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