Die AOK Sachsen-Anhalt bringt aktuell Zyto-Verträge an den Start. Allerdings setzt die Kasse nicht auf exklusive Vereinbarungen mit einzelnen Apotheken, sondern auf eine besonders lockere Version der Open-house-Verträge. Wenn die Apotheken mitspielen, könnte das Modell eine Alternative darstellen.
Die AOKen sind eigentlich Vorreiter unter den Kassen, was Exklusivverträge in der Zytostatika-Versorgung betrifft. Seit Jahren gibt es Ausschreibungen in Berlin. Und nachdem die Verträge der AOK Hessen vor dem Bundessozialgericht (BSG) verteidigt wurden, gab es Ausschreibungen in mehrere Bundesländern. Das Konsortium DAK/GWQ folgte dem Beispiel und schrieb erstmals bundesweit aus. Die bislang größte Rabattrunde starteten Barmer, TK und KKH – der Start der Verträge musste allerdings unlängst verschoben werden.
Seitdem die Kassen so massiv Exklusivverträge schließen, wird über die Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung diskutiert. Denn onkologische Praxen müssen teilweise mit neuen und mehreren Zyto-Apotheken gleichzeitig zusammenarbeiten. Die große Koalition hat auf die Kritik reagiert und will den Kassen das Instrument der Ausschreibung mit dem AM-VSG wieder wegnehmen.
Jetzt überrascht die AOK Sachsen-Anhalt mit Open-house-Verträgen. An Heiligabend wurde der Auftrag der Kasse veröffentlicht. Es handelt sich nicht um eine Vergabe öffentlicher Aufträge und es werden auch keine Exklusivverträge geschlossen. Jede „geeignete und interessierte Apotheke“ kann dem Vertrag beitreten und zu den vorgegebenen Konditionen der Kasse liefern. Die Kasse werde „keine Auswahlentscheidung treffen“, heißt es in dern Unterlagen. Der Vertrag wird einer Sprecherin der Kasse zufolge „für die Versorgung der Versicherten der AOK Sachsen-Anhalt geschlossen, unabhängig davon, an welchem Ort die Behandlung stattfindet“.
Die AOK Sachsen-Anhalt macht keine Angaben zu den Rabatten, die sie den Apotheken abverlangt. Dem Vernehmen nach wird bei Generika ein Abschlag von 15 Prozent auf die Preise der Hilftaxe fällig, bei Originalen sind es demnach 0,5 Prozent. Verwürfe können bei Generika nicht abgerechnet werden. Als frühester Vertragsbeginn ist in den Unterlagen der Kasse der Neujahrstag genannt. Die maximale Laufzeit beträgt zwei Jahre, alle geschlossenen Verträge enden aber am Silvesterabend 2018, unabhängig vom Zeitpunkt des Beitritts. Ob schon Apotheken beigetreten sind, war bei der Kasse bislang nicht zu erfahren, mehrere Apotheker haben diesen Schritt aber angekündigt.
In einem wichtigen Punkt unterscheiden sich die Verträge der AOK Sachsen-Anhalt von den bisher einzigen Open-house-Verträgen im Zyto-Bereich. Der BKK-Dienstleister Spectrum K hatte das Bundesgebiet in 788 Regionallose aufgeteilt, in denen sich jeweils beliebig viele Apotheken einschreiben können. Sobald allerdings eine Apotheke dem Vertrag beigetreten ist, darf in diesem Gebiet keine Apotheke ohne Vertrag mehr Patienten der angeschlossenen Kassen versorgen. Wünscht sie dies, muss sie ebenfalls ihren Beitritt erklären.
Die AOK Sachsen-Anhalt hat nicht nur auf Gebietslose verzichtet, sondern auch auf jede Form der Exklusivität: Zyto-Apotheken dürfen auch künftig ohne Vertrag Versicherte der AOK beliefern, zu den ganz normalen Konditionen der Hilfstaxe. Ein Beitritt zum Vertrag ist also in doppelter Hinsicht freiwillig.
Hintergrund ist offenbar die zweite Änderung, die der Gesetzgeber mit dem AM-VSG plant: Neben einer Anpassung der Hilfstaxe soll den Kassen die Möglichkeit gegeben werden, Rabattverträge mit den Herstellern zu schließen. Diese hätten dann – analog zu den etablierten Verträgen bei Fertigarzneimitteln – immer Vorrang bei der Abgabe, in diesem Fall also bei der Herstellung.
Auf Kassenseite gibt es große Vorbehalte gegen diese Gesamtlösung, in allen Stellungnahmen zum AM-VSG haben sie sich für einen Erhalt der Exklusivverträge auf Ebene der Apotheken stark gemacht. Doch auch Zyto-Apotheker haben Vorbehalte gegen Rabattverträge auf Herstellerebene, weil damit ihr Einkauf deutlich komplizierter würde.
Mit ihren Open-house-Verträgen macht die AOK Sachsen-Anhalt den Apotheken gewissermaßen ein Angebot, Rabattverträge zu vermeiden und der Kasse trotzdem Einsparungen zu generieren. Dazu muss sich in der Praxis eine ausreichend große Anzahl von Apotheken in die Verträge einschreiben. Wenn die Versorgung aus Sicht der Kasse wirtschaftlich ist und gut funktioniert, könnte sie auf Herstellerverträge nach 130a SGB V verzichten.
Auf Nachfrage heißt es bei der AOK: Die Wahl des Instrumentes sei vor allem „eine Frage der Vertragsstrategie“. Neben der Ausschreibung gebe es weitere Optionen, zwischen denen die Kassen wählen könnten. Vor- oder Nachteile beider Modelle zu bewerten, will sich die Kasse nicht anmaßen.
„Es handelt sich dabei um eine unternehmerische Entscheidung, bei der sicher auch die eigene Erfahrung mit dem jeweiligen Vertragsweg eine Rolle spielt“, so die AOK-Sprecherin. Und weiter: „Die AOK Sachsen-Anhalt hat sich für die Durchführung eines Open-House-Verfahrens entschieden, welches unbestritten von einer öffentlichen Ausschreibung abweicht.“
Das klingt nach verbaler Absicherung gegen das geplante Verbot von Exklusivverträgen. Offiziell will die Kasse aber derzeit keine rechtliche Einschätzung hinsichtlich des AM-VSG vornehmen. „Bis zum Abschluss des Gesetzgebungsprozesses sind weitere Änderungen des Gesetzesentwurfs möglich, so dass eine Einschätzung aktuell von einigen Unwägbarkeiten begleitet wäre“, so die Sprecherin.
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