Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich viel vorgenommen vor der Sommerpause: Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) und das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) sollen bis dahin noch in den Bundestag. Doch dieser Zeitplan könnte knapp werden, denn nach den Ländern fordern jetzt auch die Ärzte noch viele Änderungen. Sonst, so warnen die Verbände, stehe die ambulante Versorgung auf dem Spiel. Auch scharfe Protestmaßnahmen wurden nicht ausgeschlossen.
„Vergraben Sie Ihre Papiere zum Umbau des deutschen Gesundheitswesens wieder in den Kellern, in denen sie lagen, seit Ulla Schmidt das BMG verlassen musste. Staatsmedizin war und ist eine Totgeburt. Sie schafft eine gewaltige Benachteiligung, gerade von Menschen, die unser Gesundheitssystem besonders brauchen!“, so der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen.
„Eine der größten Errungenschaften des deutschen Gesundheitswesens ist die wohnortnahe, niedrigschwellige haus- und fachärztliche sowie psychotherapeutische Versorgung durch mehr als 100.000 Praxen. Das sehen die Bürgerinnen und Bürger ganz genauso“, weiß Gassen. Das BMG mache Politik gegen die Menschen in diesem Land.
Der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister begrüßt die im GVSG vorgesehene Entbudgetierung und fordert eine schnelle Umsetzung. Auch die Bagatellgrenze wurde positiv hervorgehoben. Wie schon im Brandbrief des Vorstandes wurde erneut davor gewarnt, dass die Anpassungen der hausärztlichen Vergütung nicht mit zusätzlichem Geld hinterlegt seien, sondern vorhandene Mittel umverteilt würden. Dafür sei kein Spielraum vorhanden.
Während das GVSG an einigen Stellen Chancen biete, werde jedoch mit dem KHVVG „sozusagen hinterrücks wieder eingerissen, was man vorne gerade mühsam aufbaut“, so Hofmeister. Bestrebungen, sektorenübergreifende Versorgungszentren finanziell fördern zu wollen, würden die wohnortnahe Versorgung weiter ausdünnen. Noch absurder werde es, wenn der Gesetzentwurf die sektorenübergreifenden Versorgungszentren darüber hinaus als künftige Zentren der allgemeinmedizinischen Weiterbildung deklariere.
Auch KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner betonte: „Vor uns liegen entscheidende Wochen und Monate für die Zukunft der Praxen.“ Bevor insbesondere die „elektronischen Patientenakte (ePA) für alle“ ausgerollt wird, bedürfe es einer erheblich zuverlässigeren Telematikinfrastruktur (TI). Das TI-Netz sei in diesem Jahr bereits über 630 Stunden lang ausgefallen. Praxen dürften nicht zum Sündenbock gemacht werden, wenn ihre PVS-Anbieter die notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllen.
Auch der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa) warnt vor einem Versorgungsnotstand. Die Fachärzte fordern eine Überführung aller unnötigerweise stationär erbrachten Leistungen in die ambulante Leistungserbringung und eine sofortige Notfallreform. Außerdem müsse die angedachte Entbudgetierung für alle ärztlichen Fachgruppen eingeführt werden und das sofort.
Auch für die Gehälter der Praxisangestellten fordern die Verbände die Refinanzierung der Gehälter und eine Anhebung auf dasselbe Niveau wie die Mitarbeiter in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zusätzlich sollen die Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärzte vom Bund finanziert werden.
Der Vorstellung des BMG für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung zur „doppelten Facharztschiene“ lehnt der SpiFa komplett ab. Zudem fordert der Verband eine „sofortige Notfallreform“. Lauterbach plant nach aktuellem Stand noch in der ersten Jahreshälfte einen Entwurf hierfür vorzulegen.
„Sollten diese Forderungen in absehbarer Zeit nicht erfüllt werden, droht ganz ohne Protestmaßnahmen eine deutliche Verschlechterung der medizinischen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten. Termine in fachärztlichen Praxen werden zum raren Gut werden“, warnt der SpiFa. Auch Protestmaßnahmen in „verschärfter Form“ würde man sich vorbehalten.
Auf dem Deutschen Ärztetag wurde in der Begrüßungsveranstaltung erneut an den Minister appelliert, frühzeitig die Leistungserbringer in den Gesetzgebungsprozess mit einzubeziehen. „Gehen Sie bitte alle eingegangenen Vorschläge akribisch durch und streichen Sie alles, was nicht unbedingt nötig ist“, so Klaus Reinhardt, der Präsident der Bundesärztekammer. Deutschlands Ärzteschaft hat vor wachsenden Engpässen bei Medizin und Pflege in Deutschland gewarnt und auch einen Gesundheitsgipfel bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gefordert.
Es drohe eine Entwicklung in Richtung des britischen NHS-Systems, so Reinhardt. Außerdem müsse endlich die angekündigte Reform des Medizinstudiums folgen, um dem Nachwuchsmangel etwas entgegensetzen zu können. Diese dürfte nicht in einem Streit zwischen Bund und Ländern um die Finanzierung untergehen, warnt Reinhardt. Er forderte, endlich eine Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in Angriff zu nehmen.
Es sei fraglich, ob das KHVVG die Versorgung in ländlichen Regionen in seiner jetzigen Form verbessern könnte. Im Entwurf fehle obendrein die dringend notwendigen Regelungen zur Regulierung von investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ).
Auch Lauterbach betonte, dass zu viel stationär versorgt werde, was auch ambulant gemacht werden könnte. Manche Eingriffe würden aufgrund wirtschaftlichen Drucks unnötig durchgeführt, so der Minister. Dies sei insbesondere bei kleinen Krankenhäusern, die besonders unter wirtschaftlichem Druck stehen, der Fall. Kern seiner Krankenhausreform sei es daher „System der Fallpauschalen zu überwinden“.
Auch die Patienten würden dadurch auf der Strecke bleiben. Ein Drittel der Krebskrankheiten werde aktuell in Kliniken behandelt, die nicht dafür ausgelegt seien. „Kleine Häuser müssen überleben können, ohne Leistungen zu erbringen, die in Spezialkliniken besser behandelt werden können“, betont Lauterbach. Außerdem möchte der Minister die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranbringen. Zudem müssen medizinische Daten für die Forschung zugänglich gemacht werden.
Die Kritikpunkte der Verbände und Länder würden alle geprüft, man werde im Dialog bleiben, versprach Lauterbach. „Wir sind zum Gelingen verurteilt“, betont der Minister erneut, auf die konkreten Kritikpunkte der Verbände ging er aber nicht weiter ein.
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