In Österreich schlägt der Streit um eine Apotheke im kleinen Örtchen Scheifling gerade hohe Wellen. Eine Bürgeriniative ruft zu zivilem Ungehorsam auf und hat eine Straßenkreuzung besetzt. Damit will sie die Hausapotheke eines Arztes retten. Denn eine Apothekerin aus einem benachbarten Ort hat deren Schließung erwirkt, weil sie selbst eine Konzession erhalten hat. Die Eröffnung einer Apotheke ist aber noch nicht absehbar. Das treibt die Anwohner auf die Straße. „Das sind doch keine Salzburger Festspiele, hier geht es um lebenswichtige Medikamente“, sagt der Organisator des Protests.
Hausapotheken sind im österreichischen Apothekenrecht als Provisorium vorgesehen, wenn im Ort keine richtige Apotheke existiert: Ein Landarzt darf einen Arzneimittelvorrat halten und dispensieren, wenn die nächste Apotheke mindestens sechs Kilometer entfernt ist. Laut Zahlen der österreichischen Ärztekammer gibt es landesweit 850 solcher Hausapotheken – Tendenz sinkend. Denn, so die Kammer, immer mehr Hausapotheken müssten schließen, wenn in der Nähe eine öffentliche Apotheke öffnet.
So ähnlich hat es sich in Scheifling abgespielt – aber eben nur so ähnlich: Denn die Hausapotheke von Allgemeinmediziner Dr. Farhad Dianat musste zwar im Frühjahr schließen, eine öffentliche Apotheke gibt es bislang im Umkreis von 6 Kilometern aber trotzdem nicht. Dem vorangegangen war ein Streit zwischen Dianat und der Apothekerin Dr. Monika Reidlinger, das Verwaltungsgericht gab der Pharmazeutin recht.
Dianat hatte im Oktober 2016 die Praxis übernommen, die Hausapotheke gab es da schon Jahrzehnte. 200 bis 300 Arzneimittel lagert er in ihr, um sie selbst abzugeben. Seit der Übernahme gibt es ein juristisches Gezerre zwischen Dianat und Apothekerin Reidlinger vor den Verwaltungsgerichten der Steiermark: Reidlinger, Ehefrau von Helmut Reidlinger, der im 11 Kilometer entfernten Neumarkt die Apotheke zur Mariahilf betreibt, hat den Zuschlag Apotheken-Konzession in Scheifling erhalten und deshalb Beschwerde gegen Dianats Hausapotheke eingelegt.
Daraufhin schlossen die Behörden die Abgabestelle, doch Dianat wehrte sich. Seine Begründung: Reidlinger hat weder eine Apotheke eröffnet, noch ist das in naher Zukunft absehbar. Lediglich die Konzession zu haben, versorge die Anwohner noch längst nicht mit Arzneimitteln. Zweimal gaben die Gerichte ihm recht, doch Reidlinger ging in Revision und war im Juli letztendlich erfolgreich. „Das Verwaltungsgericht meinte, man muss die Konzession so betrachten, als handele es sich um eine tatsächlich in Betrieb befindliche Apotheke“, erklärt Dianat. „Aber es gibt hier überhaupt keine Apotheke!“ Doch seine Einwände nützten nichts: Seit dem 16. Juli ist seine Hausapotheke geschlossen.
Seitdem müssen die Anwohner mindestens die 11 Kilometer bis zu Reidlingers Apotheke in Neumarkt auf sich nehmen, wenn sie nach dem Arztbesuch ein Rezept einlösen wollen. Oder sie fahren in das vier Kilometer entfernte Niederwölz – dort sitzt auch ein Hausarzt samt Hausapotheke. Die Entscheidung ist deshalb für den Arzt nicht nur kaum nachvollziehbar, sondern sie gefährdet nach eigenen Angaben seine Existenz. „Die Arzneimittelversorgung ist gerade sehr schlecht hier im Ort und ohne Hausapotheke läuft auch die Praxis sehr schlecht“, sagt er. Denn wenn sie bei ihm keine Arzneimittel kriegen und es keine Apotheke im Ort gibt, dann würden viele Patienten lieber direkt zu dem nächstgelegenen Hausarzt fahren, wo sie beide Wege gleichzeitig erledigen können.
Für Dianat gibt es deshalb unter den jetzigen Bedingungen nur den Weg der Schließung. „Der jetzige Zustand ist so nicht haltbar. Ich werde mich nach Alternativen umsehen müssen.“ Denn daran, dass er nur die Zeit bis zur Eröffnung der Apotheke überbrücken müsste, glaubt er nicht. „Die werden hier keine Apotheke aufmachen, erst recht nicht, wenn es hier im Ort keinen Arzt mehr gibt. Dieses Risiko werden sie wohl kaum eingehen“, sagt er. „Diese Konzession hätte nie vergeben werden dürfen.“ Apothekerin Redilinger wollte zu den Vorwürfen keine Stellung beziehen. Sie habe kein Interesse, sich zu dem Streit öffentlich zu äußern, teilt sie auf Anfrage mit.
Dafür haben sich Apotheker- und Ärztekammer bereits zu dem Fall verhalten. Der Präsident der Ärztekammer Steiermark hat sich bereits dafür ausgesprochen, die betreffenden Paragraphen im Apothekenrecht zu reformieren. „Wir fordern, dass es hier eine Änderung gibt, weil es um die Bevölkerung geht, um die Versorgung der Bevölkerung mit ärztlicher Leistung und mit Medikamenten.“ Die Apothekerkammer widerspricht, denn eine Abschaffung der Regelung würde „das Ende des Apothekerberufs bedeuten“, da eine Koexistenz von Haus- und öffentlicher Apotheke wirtschaftlich nicht sinnvoll sei. Eine Hausapotheke sei nur ein Behelfsinstrument und habe nur zu den Ordinationszeiten des Arztes geöffnet, im Durchschnitt 20 Stunden pro Woche, eine echte Apotheke hingegen sei rund 50 Stunden offen. Auch der Einwand der Ärztekammer, dass der Wegfall der Hausapotheke für viele Landärzte den Entzug der wirtschaftlichen Grundlage bedeutet, gelte nicht. Die Ärzte sollten mit ihrer ärztlichen Tätigkeit auskommen, zitiert der ORF die Kammer.
Für diese juristischen und wirtschaftlichen Kabale hat Johannes Winkler kein Verständnis. Der gebürtige Scheiflinger hat Protest gegen die Schließung organisiert. „Das sind doch keine Salzburger Festspiele, hier geht es um lebenswichtige Medikamente“, sagt er hörbar erregt. „Es hilft uns nicht, wenn hier in zwei Jahren vielleicht mal eine Apotheke hinkommen soll. Die Situation ist jetzt im Moment so, dass man zwar zum Arzt gehen kann, aber keine Medikamente bekommt.“ Dennoch: Mit Wut habe das nichts zu tun. „Das geht hier nicht gegen die Apothekerin, es geht uns nur um die Situation.“
Deshalb hat er die Einwohner des Ortes zusammengetrommelt, um öffentlichkeitswirksam zu zeigen, wo der Schuh drückt. Rund 400 Scheiflinger kamen nach Winklers Angaben am Freitagmittag zusammen, um mit zehn Traktoren die zentrale Kreuzung des Ortes zu sperren. Ihr Ziel: Die Politik zum Handeln zu bewegen. „Wenn die Politik reagiert und das Gesetz repariert, dann ist das Problem gelöst.“ Winkler fordert, dass die Regularien so angepasst werden, dass der Arzt seine Hausapotheke weiter betreiben kann, so lange keine echte Apotheke im Ort existiert: „Was wir brauchen, ist ein Arzt mit Apotheke und nicht eine Apotheke ohne Arzt.“
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