Die Retaxfirma Protaxplus hatte wegen ihres umstrittenen Vorgehens bei der Rezeptprüfung in der Branche einen miserablen Ruf. Und ihr Image hat sich seit der Insolvenz im Mai nicht verbessert. Die Gewerkschaft der Sozialversicherung (GdS) erhebt schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen – und die beteiligten Krankenkassen.
Der BKK-Landesverband Nordwest hatte Protaxplus im Jahr 2011 gegründet und damit die Rezeptprüfung ausgelagert. Diese sollte effizienter werden, besonders rigide Retaxationen mehrerer beteiligter Kassen waren die Folge. Rentabel war das Geschäftsmodell trotzdem nicht, laut GdS tragen die beteiligten Kassen daran eine Mitschuld.
Die Gewerkschaft hat naturgemäß vor allem die Mitarbeiter des Kassendienstleisters im Blick. Bei der Gründung von Protaxplus sei den Angestellten der Betriebsübergang mit einem Rückkehrrecht für sieben Jahre und gut bezahlten Arbeitsplätzen schmackhaft gemacht worden. „Im Jahr 2019 ist von diesem Versprechen nichts mehr übrig geblieben“, so die Gewerkschaft. „Die Bereitschaft, den betroffenen Mitarbeiter/innen in dieser Notsituation zu helfen und die Beendigung der Arbeitsverhältnisse zumindest mit einem vernünftig dotierten Sozialplan zu begleiten, war aufseiten der Gesellschafter der Protaxplus leider nicht zu erreichen.“
Das Problem ist aus Sicht der Gewerkschaft struktureller Natur, weil die Kassen gleichzeitig Gesellschafter und Kunden von Protaxplus waren. Diese hätten die Preise gedrückt und die Firma damit selbst in den Ruin getrieben. Laut GdS wurden Rabatte zugunsten der Kunden ausgehandelt und sogar Rückerstattungen für „Kundentreue“ vereinbart.
Schon seit 2016 habe es Gerüchte über wirtschaftliche Probleme gegeben. Aber erst Ende 2018 sei offen kommuniziert worden, dass die Firma alleine nicht mehr überlebensfähig sei. Angestrebt wurde eine Übernahme durch den Kassendienstleister Spectrum K, zumal dort teilweise dieselben Kassen als Gesellschafter beteiligt sind, darunter namhafte Betriebskrankenkassen wie Novitas, Viactiv oder Pronova. Doch am Ende sei von Spectrum K nur das Geschäft, aber nicht die Mitarbeiter von Protaxplus übernommen worden.
Die versprochene sozialverträgliche Lösung im Fall der angestrebten Übernahme kam laut GdS nie zustande, weil Protaxplus gerade lange genug existiert hatte. „Im Jahr 2018 sind nach Auffassung der Arbeitgeber die Rückkehrrechte der Beschäftigten zum BKK-Landesverband ausgelaufen“, moniert die Gewerkschaft. Da immer mehr Kassen ihre Verträge mit Protaxplus gekündigt hatten und die Rezepte jetzt von Spectrum K prüfen ließen, sei die Insolvenz schließlich unvermeidbar gewesen.
Das Urteil der Gewerkschaft: „Was bleibt, ist ein äußerst fader Beigeschmack – hier geht es um eine Gesellschaft, die schlussendlich dadurch in die Insolvenz gezwungen wird, dass ihre Kunden, die gleichzeitig auch Gesellschafter sind, während der Verhandlungen für einen Sozialplan alle Verträge aufkündigen.“ Zum Jahresende seien die Arbeitsverhältnisse insolvenzbedingt nach und nach gekündigt worden, Abfindungen wurden demnach aufgrund des Insolvenzrechts massiv eingeschränkt. Die Mitarbeiter stünden durch juristische Winkelzüge vor einem Nichts, heißt es von der GdS.
Besonders bemerkenswert findet man bei der Gewerkschaft, dass es sich bei Kunden und Gesellschaftern von Protaxplus um Körperschaften des öffentlichen Rechts handelt, bei denen eigentlich eine besondere soziale Verantwortung anzusetzen sei. Nach diesen Erfahrungen wird die Gewerkschaft bei künftigen Outsourcing-Projekten doppelt kritisch hinsehen und den Mitarbeitern im Zweifel von einem Betriebsübergang abraten.
„Falls es dann schlimmstenfalls zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des Wegfalls der Beschäftigung kommt, würden die Betroffenen wenigstens von den guten Kündigungsschutzregelungen in den Tarifverträgen der Sozialversicherung profitieren.“
Fehler wurden aus Sicht der Gewerkschaft schon gleich zum Start der Rezeptprüffirma gemacht. Dass neu angestellte Mitarbeiter zu deutlich schlechteren Konditionen beschäftigt worden seien als die ehemaligen BKK-Mitarbeiter, habe zu Unfrieden in der Belegschaft und einer hohen Personalfluktuation geführt.
Dabei hatte man auf dem Personaltableau zum Start durchaus einen Coup gelandet. Einer der zwei Geschäftsführer kam vom Apothekerverband Nordrhein, Bereich Vertragswesen. Sein Insiderwissen sollte maßgeblich dabei helfen, bei der Rezeptprüfung noch effizienter zu sein. Allerdings schoss Protaxplus dabei deutlich über das Ziel hinaus: Ab Herbst 2011 wurden im Auftrag der Novitas BKK sowie den mittlerweile fusionierten BKK vor Ort und BKK Hoesch (seit 2015: Viactiv) massenhaft Null-Retaxationen aufgrund von Formfehlern ausgesprochen. Die Beanstandungen der BtM-Rezepte waren zum Teil so kleinlich, dass sogar die Politik sich zum Einschreiten genötigt sah und andere Krankenkassen auf Distanz gingen.
Für Protaxplus war es der Anfang vom Ende: Weitere Kassen konnten nicht als Kunden gewonnen werden. Die bestehenden Gesellschafter haben dem Unternehmen laut GdS weiter finanzielle Mittel entzogen und so schließlich in die Insolvenz getrieben. In diesem Sinne bleibt Protaxplus sich treu: Von Anfang bis Ende eine ziemlich unrühmliche Geschichte.
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