ProfMorris Patrick Hollstein, 20.01.2017 10:25 Uhr
Wer über europäisches Recht nationale Regelungen aushebeln will, braucht nicht nur gute Anwälte, sondern auch meinungsstarke Gutachter. Im Fall von DocMorris ist das Professor Dr. Christian Koenig. Der Jurist aus Bonn ist für die niederländische Versandapotheke bereits zweimal in die Schlacht gezogen. In einem aktuellen Gutachten warnt er davor, dass sich die Bundesrepublik mit einem Rx-Versandverbot schadenersatzpflichtig machen würde.
Als am 3. September 2008 im Streit um das Fremdbesitzverbot am Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Parteien zum Schlagabtausch antraten, stach unter den Angreifern eine Figur besonders hervor: Neben dem überselbstbewussten Staatssekretär Wolfgang Schild („Fallbeispiel Apothekerwitwe“), dem offensichtlich nicht ganz so überzeugten Hecken-Nachfolger Gerhard Vigener (CDU) und den geschniegelten DocMorris/Celesio-Vertretern samt in sich gekehrtem Ralf Däinghaus wirkte Koenig geradezu elektrisiert. Als er dann zum Plädoyer aufgerufen wurde, lief der hoch aufgeschossene Professor zu Höchstform auf.
Eigentlich hätte Koenig – wie in der schriftlichen Stellungnahme – über EU-Recht fabuliert und darüber, dass aufgrund des zunehmenden wirtschaftlichen Drucks auf die unabhängigen Apotheker ein „allgemeiner Rückgang von Investitionen in Konzepte zur pharmazeutischen Qualität und Sicherheit zu befürchten“ sei.
Doch stattdessen hatte sich das Blatt in den Wochen und Monaten vor der Verhandlung gewendet: Plötzlich drehte sich alles um den „Fall Norwegen“, und so musste Koenig auf Weisung der Richter versuchen, die von der Gegenseite in ihrer Stellungnahme vorgebrachten Erfahrungen aus Norwegen zu widerlegen. Eigentlich gar nicht sein Leib- und Magenthema, doch munitioniert mit einem mit heißer Nadel gestrickten Auftragsgutachten des Kollegen Wasem und ausgestattet mit dem Selbstbewusstsein eines Staats- und Europarechtlers wusste Koenig alle Vorbehalte im Handstreich abzubügeln.
Für Koenig war es bereits der zweite Auftritt für DocMorris vor dem EuGH. Bereits ab 2001 hatte er die Versandapotheke, in deren Aufsichtsrat er damals sogar saß, im ersten Verfahren vertreten, hier ging es um die Zulässigkeit des Versandhandels. Dass die selbst ernannten Revoluzzer damals in Luxemburg nur den OTC-Versand holten, interessierte später niemanden mehr. Denn die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte in vorauseilendem Gehorsam auch den Rx-Versand freigegeben.
So gesehen dürfte es für Koenig eine Herzensangelegenheit sein, die Belieferung von Rezepten jetzt gegen den Angriff von Hermann Gröhe (CDU) zu verteidigen. Seit er den Apothekenmarkt im Jahr 2000 für sich entdeckt hat, sind von ihm und seinem Team immer wieder Aufsätze zu Versandhandel und Fremdbesitzverbot erschienen. 2009 hatte er für den BVDVA in einem 21-seitigen Kurzgutachten dargelegt, warum aus seiner Sicht ein Versandverbot verfassungsrechtlich bedenklich ist. Auch der Anspruch ausländischer Versandapotheken auf den Herstellerrabatt – in der aktuellen Debatte ein „Plan C“ gegen Rx-Boni – war bereits 2005 sein Thema.
Bereits in seinem vierten Aufsatz aus dem Jahr 1990 hatte sich König mit einseitigen Maßnahmen der Mitgliedstaaten zum Gesundheitsschutz auseinander gesetzt; davor hatte er sich eher mit militärischen Konflikten und Menschenrechten beschäftigt. Der Jurist, der mit der EU-Brille selbstsicher durch Themen wie Glücksspiel, Telekommunikation, Energiemarkt, Postverkehr, Eisenbahnregulierung und eben Gesundheits- und Arzneimittelrecht wandelt, ist überzeugt, dass die Bundesregierung geradewegs in die Staatshaftung hineinläuft, wenn sie DocMorris & Co. die Belieferung von Rezepten verbietet.
Jahrgang 1961, studierte Koenig von 1980 bis 1985 Rechtswissenschaften in Berlin und Mainz. 1986 erwarb er seinen Master of Laws an der London School of Economics (LSE). Nach seiner Promotion im Jahr 1988 legte er 1991 das Zweite Juristische Staatsexamen ab. Danach arbeitete er kurz in einer internationalen Anwaltssozietät, 1993 habilitierte er an der Philipps-Universität Marburg. Nach seinem Ruf an die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz wurde er 1995 ordentlicher Professor am Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg, bevor er im April 1999 zur Universität Bonn wechselte. Hier ist er seitdem Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) und Mitglied der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät.
Koenigs Lehr- und Forschungsschwerpunkte umfassen das Recht des EU-Binnenmarktes, das allgemeine Verwaltungsrecht, das Wirtschaftsverwaltungsrecht, das EU-Wettbewerbsrecht sowie das Regulierungsrecht der Netzwirtschaften. Das ZEI bietet einen englischsprachigen interdisziplinären Masterstudiengang mit dem Schwerpunkt „European Governance & Regulation“ an.
In seinen zahlreichen Veröffentlichungen, Forschungsprojekten und Gutachten beschäftigt sich Koenig schwerpunktmäßig mit dem Binnenmarkt und dem EU-Wettbewerbsrecht. Dabei stehen oft komplexe Regulierungsfragen im Fokus, die laut Koenig ein „interdisziplinäres Verständnis für (wirtschafts-)wissenschaftliche Nachbardisziplinen“ verlangen.