Krankenkassen dürfen gegenüber ihren Mitgliedern für umstrittene Bonus-Modelle ausländischer Versandapotheken werben, wenn diese Angebote nicht offensichtlich illegal sind. Das Oberlandesgericht München (OLG) gestand der Siemens BKK (SBK) für den Versand eines DocMorris-Flyers im Jahr 2014 das sogenannte Presseprivileg zu.
Die Siemens BKK hatte in der Oktoberausgabe 2014 ihrer vierteljährlich erscheinenden Mitgliederzeitschrift für ein Bonusmodell von DocMorris geworben. Wer ein Rezept oder eine Rezeptkopie einschickte, erhielt demnach einen Gutschein über 10 Euro, der beim nächsten OTC-Kauf in Höhe von mindestens 40 Euro eingelöst werden konnte. Dagegen hatte die Apothekerkammer Nordrhen (AKNR) geklagt und 2014 in erster Instanz vor dem Landgericht München I auch recht bekommen.
Die Kasse ging in Berufung – und zwischenzeitlich hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass sich ausländische Versandapotheken nicht an die deutschen Preisvorschriften halten müssen. Zwar verweist das OLG in seiner jetzt vorliegenden Begründung des Urteils vom 12. April auf die Kritik des Bundesgerichtshofs (BGH) an der EuGH-Entscheidung. Demnach haben sich die Kollegen in Luxemburg nicht mit allen Facetten der Preisbindung befasst.
Die Richter am OLG München konnten es sich mit dem Presseprivileg – dem Grundsatz der eingeschränkten Haftung der Presse für wettbewerbswidrige Werbeanzeigen Dritter – aber leichter machen. Eine Haftung bestehe danach nur, wenn die Anzeige „grobe und eindeutige, unschwer erkennbare Wettbewerbsverstöße enthält“, so das OLG. Das sei bei der DocMorris-Werbung im SBK-Magazin aber nicht der Fall gewesen.
Da die „redaktionellen Beiträge“ im Mitgliedermagazin der Kasse einen sachlichen Bezug zum Thema Gesundheit aufwiesen, gilt das Presseprivileg aus Sicht der Richter auch für die SBK. Zwar könne man einem Redaktionsmitarbeiter eines für eine Kasse herausgebenden Kundenmagazins vielleicht unterstellen, die Regeln des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) in den Grundzügen zu kennen. Für eine Haftung müsse sich ihm aber – anders als einer juristisch geschulten Person – der Wettbewerbsverstoß geradezu aufdrängen, heißt es im Urteil.
Der DocMorris-Flyer mit dem 10-Euro-Gutschein beinhaltete laut Gericht dagegen „keinen offensichtlichen Verstoß“ gegen die Preisvorschriften, wie es etwa bei einem direkten Preisnachlass von x Prozent beim Kauf verschreibungspflichtiger Arzneimittel der Fall gewesen wäre. Auf insgesamt 50 Seiten schildert das OLG ausführlich die Debatte um Rx-Boni einschließlich des EuGH-Verfahrens. Eine offenkundige Unzulässigkeit war demnach nicht anzunehmen.
Einen Unterlassungsanspruch konnte die AKNR auch nicht auf den GKV-Rahmenvertrag stützen, dem DocMorris beigetreten ist und der die Einhaltung des Preisrechts vorsieht. Es handele sich hierbei schon nicht um eine Marktverhaltensregel im Sinne des Wettbewerbsrechts, sondern um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag ohne allgemein gültigen normativen Charakter, so das OLG.
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