Trotz europarechtlicher Bedenken legt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seinen Kabinettsentwurf zum Apothekenstärkungsgesetz vor. Ausführlich erklärt sein Ministerium dabei, warum die Preisbindung wichtig ist – nicht nur für die Apotheken, sondern für die Gesundheitsversorgung insgesamt.
Im Entwurf wird daran erinnert, dass die Ausgestaltung des Gesundheitssystems in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe anerkannt, dass Einschränkungen der Grundfreiheiten durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein können, insbesondere durch zwingende Gründe des finanziellen Gleichgewichtes des Systems der sozialen Sicherung oder der Intaktheit des nationalen Gesundheitswesens.
„Derartige Gründe liegen hier vor, denn das Sachleistungsprinzip stellt einen wesentlichen Baustein des nationalen (gesetzlichen) Krankenversicherungssystems dar, das auf einem System der Solidarfinanzierung fußt.“ Das BMG erklärt, dass gesetzlich Versicherte gegenüber ihrer Krankenkasse einen Anspruch auf die benötigten und verordneten Arzneimittel haben. „Der Leistungserbringer erbringt diese Sachleistung gegenüber dem gesetzlich Versicherten und rechnet diese unmittelbar mit der jeweiligen Krankenkasse ab“, so das BMG. „Auf diese Weise wird gewährleistet, dass ein gesetzlich Versicherter ohne eine unmittelbare finanzielle Vorleistung die Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann. Diesem Verfahren liegt der Gedanke zugrunde, dass den Versicherten im Krankheitsfall nicht zugemutet werden kann, sich die günstigste Leistung zu suchen.“
Dieses Prinzip würde mit „individuellen Rabattangeboten, die dem einzelnen Versicherten und nicht der Solidargemeinschaft zu Gute kommen, durchbrochen“, erklärt das BMG.
Im Rahmen des Sachleistungsprinzips stünden Apotheken nicht im Preiswettbewerb. „Gesetzlich Versicherte, die ein Arzneimittel im Wege der Sachleistung erhalten, schließen keinen Kaufvertrag mit der betreffenden Apotheke und bezahlen keinen Kaufpreis für das Arzneimittel.“ Daher hätten Patienten in der Regel auch keine Kenntnisse über die konkreten Preise ihrer Arzneimittel. „Ein Preiswettbewerb im Rahmen des Sachleistungsprinzips der gesetzlichen Krankenversicherung wäre daher als Wettbewerbsfaktor nicht geeignet, das eingeschränkte Leistungsangebot von Versandapotheken aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auszugleichen, da der Preis von Arzneimitteln bei der Versorgung im Wege der Sachleistung gegenüber gesetzlich Versicherten keine Lenkungsfunktion entfaltet und aus Gründen des Gesundheitsschutzes auch nicht entfalten soll.“
Vielmehr sei es Sache der Selbstverwaltung, Wirtschaftlichkeitsreserven bei der Ausgestaltung von Kollektiv- und Selektivverträgen zu heben, um das finanzielle Gleichgewicht des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung dauerhaft zu gewährleisten. Während ein Preiswettbewerb für vergleichbare Leistungen – zum Beispiel über Rabattverträge für Generika – gewünscht sei und gefördert werde, sei ein Rabattwettbewerb von Apotheken mit Anreizen für Versicherte „problematisch“.
Dazu führt das BMG aus: „Da die Anzahl der Arzneimittelverordnungen im Rahmen des Gesundheitssystems jedoch begrenzt ist und auch durch aggressives Werben nicht gesteigert werden können, führen diese Patientenlenkungen zu wirtschaftlichen Einbußen bei anderen Anbietern. Im Endeffekt könnten dann nur wirtschaftlich starke Anbieter einen Rabattwettbewerb durchhalten.“
„Die Folgen einer qualitäts- und wirtschaftlichkeitsunabhängigen Steuerung von Patientenströmen und GKV-Umsätzen führen über die Gefährdung der wirtschaftlichen Situation der Anbieter zu Einschränkungen der Versorgung mit Arzneimitteln im Allgemeinen und im Besonderen mit der Versorgung mit pharmazeutischen Leistungen (wie zum Beispiel Betäubungsmittel, patientenindividuelle Rezepturen)“, so das BMG. GKV-Versicherte hätten aber einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln; etwaige Einschränkungen müssten die Kassen daher ausgleichen, um eine gleichmäßige Versorgung sicherzustellen. „Diese Anstrengungen zur Kompensation wären dann für das System der sozialen Sicherung deutlich kostenintensiver als bei gleichmäßigem Angebot durch privatwirtschaftlich inhabergeführte Apotheken im Rahmen der Niederlassungsfreiheit.“
Anders ausgedrückt: Versicherte hätten gesetzlich eine freie Apothekenwahl. „Eine Verpflichtung der Versorgung über eine festgelegte Apotheke besteht nicht.“ Gleichzeitig gebe es für Apotheken eine Niederlassungsfreiheit, „das heißt auch, dass eine unterstützende Finanzierung wirtschaftlich gefährdeter Apotheken durch die GKV nicht erfolgt.“
Apotheken erwirtschafteten rund 80 Prozent des Umsatzes mit Kassenrezepten, rechnet das BMG vor. „Die Umlenkung relevanter Patientenströme (gleich GKV-Umsätze) durch Rabattanreize könnten viele Apotheken wirtschaftlich nicht kompensieren, sondern müssten zur Wahrung ihrer Umsatzstruktur ebenfalls Rabatte anbieten (hier betrachtet unter Absehung der aktuellen Rechtslage zum Rabattverbot für deutsche Apotheken im HWG in Verbindung mit AMG).“
Da Apotheken pro Packung von 8,35 Euro plus 3 Prozent minus 1,77 Euro Kassenabschlag erhielten, bedeute bereits die im europäischen Versandhandel marktüblichen Rabatte zwischen 3 bis 5 Euro Ertragseinbußen im GKV-Bereich von 30 bis 60 Prozent. „Diese sind für den wirtschaftlichen Bestand der Apotheke als Unternehmen hoch relevant und müssten, gegebenfalls zu Lasten der flächendeckenden Versorgung, kompensiert werden.“
Privatwirtschaftliche Anbieter von Gesundheitsleistungen sollten nicht feste Vergütungssätze erhalten und gleichzeitig untereinander über finanzielle Werbeanreize konkurrieren. Das Sachleistungsprinzips diene daher auch dazu, das Gewinnstrebens der Apotheken zu mäßigen. „Diese grundsätzliche Maßgabe solle Patienten vor unsachlicher Beeinflussung und Verzögerungen bei der Therapie durch Kostenvergleiche schützen.“
Vielmehr solle der Wettbewerb stattfinden durch „Steuerung der Qualität (Qualitätswettbewerb durch Transparenz der Qualitätsdaten) und Steuerung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung durch die Selbstverwaltung“. „Der Wettbewerb soll nicht erfolgen durch Lenkung von Patientenströmen (Kundenlenkung) über Rabattanreize, die sich direkt an den Patienten wenden und in keinem Verhältnis stehen zur Qualität der Leistungserbringung und zur Gesamthöhe der monetären Vergütung durch die Krankenkasse.“
„Anders als in der Entscheidung des EuGH [...] geht es vorliegend auch nicht um ein grundsätzliches Rabattverbot in allen Bereichen, sondern alleine um die Umsetzung im Rahmen der Arzneimittelversorgung von gesetzlich Versicherten innerhalb des Sachleistungsprinzips.“
Außerhalb des Sachleistungsprinzips, etwa im Bereich der Selbstzahler, seien Versandapotheken aus anderen Mitgliedstaaten keinen preisrechtlichen Beschränkungen unterworfen. „So können sie Patientinnen und Patienten bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln Rabatte und Boni gewähren.“
Schließlich sei ein einheitlicher Apothekenabgabepreis auch für das Abrechnungsverfahren notwendig, etwa für den Kassenabschlag, die Abgabe von preisgünstigen Arzneimitteln und die Berechnung von Festbeträgen sowie Erstattungsbeträgen.
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