Um mehr als 6 Milliarden Euro werden die Steuerzahler 2017 und 2018 entlastet. Das meiste davon ist rechtlich zwingend, und der Einzelne wird nur wenig mehr Geld in der Tasche haben. Für die Zeit nach 2017 aber wird den Wählern schon jetzt mehr versprochen.
Selbst diese Mini-Steuersenkung geht nicht ohne den üblichen Koalitionsknatsch über die Bühne. Immer wieder musste Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf Druck der SPD den Kabinettsbeschluss Woche für Woche verschieben. Ein wesentlicher Teil der 2017 und 2018 geplanten Steuersenkungen, die das Kabinett an diesem Mittwoch in Berlin auf den Weg gebracht hat, ist verfassungsrechtlich geboten oder Folge eines Bundestagsbeschlusses.
Aber es ist Vor-Wahlkampf, und da geht es zwischen Union und SPD auch um kleinste Geländegewinne. 6,3 Milliarden Euro Entlastungen für die Bürger am Ende der zwei Stufen klingen zunächst viel. Der Ausfall in den Staatskassen aber macht nicht einmal ein Prozent des erwarteten Steueraufkommens aus. Im Portemonnaie des Einzelnen macht sich der Geldsegen ohnehin kaum bemerkbar – zwischen 2 Euro und 32,50 Euro im Monat dürften sich die Entlastungen bewegen.
Und nicht nur das. Das Kabinett beschloss am selben Tag höhere Abgaben an anderer Stelle, die die Steuerentlastungen bei vielen wieder aufzehren: die Beitragsbemessungsgrenzen in der Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung werden angehoben, weshalb Gutverdiener noch mehr an die Sozialkassen zahlen müssen.
Anfang September überraschte Schäuble in der Haushaltsdebatte des Bundestages auch die Koalitionsfraktionen mit der Ankündigung, die 2017 fälligen Steuersenkungen schon jetzt zu beschließen und somit frühzeitig sicherzustellen, dass sie auch von Januar an greifen. Der Grundfreibetrag und Kinderfreibetrag sollen 2017 und 2018 jeweils angehoben werden, Kindergeld und Kinderzuschlag sollen ebenfalls steigen. Zugleich soll der gesamte Einkommensteuertarif verschoben werden, um eine Mehrbelastung aus dem Zusammenspiel von Inflation, Gehaltserhöhung und progressiver Besteuerung auszugleichen.
Mit diesem Kabinettsbeschluss prescht die Koalition vor und wartet nicht erst den nächsten Existenzminimumbericht sowie den Bericht zu den Auswirkungen der „Kalten Progression“ ab - die die nötigen Anpassungen ohnehin vorgeben. Zuletzt – in den Jahren 2015 und 2016 – beliefen sich die Entlastungen im Zuge dieser Anpassungen auf rund 5,5 Milliarden Euro. Am Ende müssen auch die Bundesländer wieder mitziehen und Mindereinnahmen in ihren Kassen in Kauf nehmen. Das ein oder andere Land hätte daher gern gewartet. Schon früh wurde Schäuble vor einem „Durchpeitschen im Eilverfahren“ gewarnt.
Die für 2018 geplanten leichten Änderungen bei Freibeträgen und Tarifeckwerten dürften ohnehin schon bald wieder überholt sein. Denn die künftige Bundesregierung dürfte nach der Wahl im Herbst 2017 mit einem neuen Steuerpaket starten und punkten wollen. Und das dürfte – nach Jahren des steuerpolitischen Stillstands wegen fehlender Mehrheiten in der Länderkammer – dann schon eher in Richtung „großer Wurf“ gehen. Die letzte durchgreifende Reform mit einer echten Entlastung von Bürgern und Unternehmen fiel in die Zeit der 2005 abgewählten rot-grünen Koalition unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder.
Allen Parteien geht es nach den bisher markigen Ankündigungen für die Zeit nach 2017 vor allem um untere und mittlere Einkommen – aber auch um die Leistungsträger. Die Union verspricht Entlastungen von jährlich 15 Milliarden Euro. CSU-Chef Horst Seehofer lobt sich jetzt schon für die angeblich „größte Steuersenkung aller Zeiten“.
Aber auch SPD, Grüne und Linke wollen vor allem Familien, Kinder und Alleinerziehende entlasten – und zur Gegenfinanzierung Vermögende stärker zur Kasse bitten. Für den großen Wurf gibt es mehrere Stellschrauben: Spitzensteuersätze, den „Soli-Zuschlag“, die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge oder – mal wieder – eine Erbschaftsteuerreform, Steuersubventionen. Linke Politiker beharren gern auf Klassikern wie der Wiedereinführung der Vermögensteuer.
Bei allen Wahlkampfparolen muss auch berücksichtigt werden, dass kein Steuerzahler unterm Strich wirklich von einer Steuerentlastung profitieren wird, wenn an anderer Stelle Beiträge zu den Sozialkassen oder Gebühren für Leistungen steigen. Nicht zu vergessen die Kosten: Der Bund muss ab 2020 Kompensationszahlungen an die Länder verkraften – das dürften mehr als 8 Milliarden pro Jahr werden. Auch der „Soli“ soll auslaufen. Dem Bund fehlen dann mittelfristig pro Jahr weitere 20 Milliarden Euro.
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