Plus 1 Milliarde Euro – Ärzte schimpfen trotzdem Lothar Klein, 16.09.2020 13:29 Uhr
Die rund 170.000 Kassenärzte erhalten für das kommenden Jahr rund eine Milliarde Euro zusätzliches Honorar. Damit steigt das Gesamthonorar auf rund 50 Milliarden Euro. Der Erweiterte Bewertungsausschuss, in dem jeweils drei Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des GKV-Spitzenverbandes sowie drei unparteiische Mitglieder vertreten sind, hat gestern die Höhe der vertragsärztlichen Vergütung für das Jahr 2021 gegen die Stimmen der Ärzte festgelegt. Die Mediziner kritisieren das Honorarplus als zu gering.
Laut GKV-Spitzenverband erhöht sich der Orientierungswert, nach dem sich die Preise für alle vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Leistungen berechnen, im Jahr 2021 um circa 470 Millionen Euro oder 1,25 Prozent. Weitere Vergütungselemente wie zum Beispiel die Morbiditätsveränderung der Versicherten, der Mengenanstieg im Bereich der extrabudgetären Leistungen sowie die Einführung neuer Leistungen führten insgesamt zu einer Erhöhung der vertragsärztlichen Vergütung im nächsten Jahr von voraussichtlich über einer Milliarde Euro.
„Die Erhöhung der vertragsärztlichen Vergütung stärkt die ambulante Versorgung im Jahr 2021. Diese ausgewogene Entscheidung des Erweiterten Bewertungsausschusses berücksichtigt sowohl die Honorarinteressen der niedergelassenen Ärzteschaft als auch die unserer Beitragszahler. Das ist gut, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die GKV im nächsten Jahr vor großen – insbesondere auch finanziellen – Herausforderungen steht“, so Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. „Was hierbei nicht vergessen werden sollte: In der aktuell schwierigen Zeit der Pandemie hat die GKV auch die niedergelassenen Ärzte mit einem Schutzschirm unterstützt und so die Versorgung sichergestellt.“
Die Ärzte kritisieren die Entscheidung: „Wer auf diese Weise Honorarverhandlungen führt, dreht der Feuerwehr auch während des Großbrandes das Wasser ab“, kritisiert der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich. „Die Kassen versuchen, die Kosten für die unsinnigen, politisch gewollten millionenfachen Massentests am falschen Ende wieder einzusparen. Der erweiterte Bewertungsausschuss hat zwischen der legitimen Forderung der KBV von plus 3 Prozent und dem Affront der Kassen mit einer Nullrunde weniger als den Mittelwert gewählt – und damit letztlich die Kassenstrategie unterstützt. Das ist fahrlässig, rückgratlos und gefährlich.“
„Das ist eine grobe Missachtung der Leistungen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen“, kritisiert auch KBV- Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen. „Insbesondere während der letzten Monate der Corona-Pandemie trugen die Niedergelassenen die Hauptlast der Versorgung: Sechs von sieben Covid-19-Patienten wurden ambulant behandelt. Nun ist für die Kolleginnen und Kollegen offenbar noch nicht mal genug Geld da, um die massiv gestiegenen Aufwendungen in den Praxen aufzufangen“, kritisierte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der KBV.
„Milliarden fließen in die Krankenhäuser, Milliarden erhält der Öffentliche Gesundheitsdienst, aber für die Vertragsärzte soll nun kein Geld mehr da sein“, empörte sich Gassen. Für die beiden KBV-Vorstände handelt es sich bei der EBA-Entscheidung um „einen Affront gegen die Vertragsärzteschaft“.
KBV und GKV-Spitzenverband haben den gesetzlichen Auftrag, jährlich über die Morbiditätsentwicklung und über die Anpassung des Orientierungswertes zu verhandeln. Eine Vorgabe des Gesetzgebers ist, dass die Krankenkassen das volle Morbiditätsrisiko ihrer Versicherten tragen müssen. Das bedeutet: Nimmt die Zahl der Erkrankungen und damit der Behandlungsbedarf in der Bevölkerung zu, müssen die Kassen entsprechend mehr Geld bereitstellen. Außerdem sieht das Gesetz vor, dass die steigenden Praxiskosten bei der Berechnung der Preise für ärztliche Leistungen zu berücksichtigen sind. Dazu wird der Orientierungswert jährlich angepasst. Die auf Bundesebene erzielten Ergebnisse bilden die Grundlage für die anschließenden Verhandlungen zwischen den 17 KVen und den regionalen Krankenkassen: Denn wie viel Geld letztlich für die medizinische Versorgung der Menschen in den einzelnen KV-Bereichen bereitsteht, ist Sache der Landesebene.