„Sehr strenger Finanzminister“

Philippi: Lauterbach hat es schwer mit Lindner

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Berlin -

Von der Apotheke zur Welt zum Land der Lieferengpässe und dem Apothekensterben, und das, obwohl Deutschland sich eines der teuersten Gesundheitssysteme leistet. Im Expertentalk „Apothekensterben: Ist die Versorgung noch sicher?“ wurde deutlich, wie groß der Frust in den Apotheken ist, dass die Reform keine Rettung, Lieferengpässe zum Alltag gehören und die Arzneimittelversorgung gefährdet ist, weil immer mehr Apotheken schließen. Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) macht klar, dass es schwer ist, über Geld zu reden, wenn es einen „sehr strengen Finanzminister“ gibt, und auch zu Lieferengpässen bezieht der Mediziner Stellung.

Philippi sowie Oliver Grundei, Staatssekretär im Ministerium für Justiz und Gesundheit in Schleswig-Holstein, Apotheker Bernard Ewert und Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening nahmen am Expertentalk der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) teil. Eingeladen war auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). „Doch der scheint einer ernsthaften Debatte möglicherweise aus dem Weg gehen zu wollen“, so Moderator Michael Clasen.

Die Reformpläne aus dem Bundesgesundheitsministerium würden den Apothekenberuf abschaffen, macht Overwiening deutlich. Bei seiner Reform nutze der Minister den Deckmantel der Telepharmazie. Die Reform sei so aufgebaut, dass der Apotheker nur noch acht Stunden in der Woche in der Apotheke sein muss – in der restlichen Zeit könnten die Apotheken ohne Approbierte sein. Hier gibt der Staat laut Overwiening eine Regel vor, wie wichtig ihm die Arzneimittelversorgung ist. „Wenn dem Staat die Arzneimittelversorgung wichtig ist, muss er die Regeln so aufsetzen, wie er das bis heute immer getan hat“, so Overwiening. Lauterbach wolle die Apotheken mit einigen Punkten der Reform ködern. Dafür müssten andere Kröten geschluckt werden – beispielsweise die Apotheke ohne Approbierte.

„Was habe ich von einem Skonto-Urteil, das über dieses Gesetz rückgängig gemacht wird, wenn es dann perspektivisch keine Apotheker:innen mehr gibt. Das brauche ich dann auch nicht mehr.“ Das müsse anders gelöst werden. „Ich wünsche mir von Minister Lauterbach, dass er mit uns in einen konstruktiven Dialog geht.“ Aber der Minister habe klargemacht, dass er über seine Ideen und nicht die der Apothekerschaft reden möchte. Doch das solle er tun, und zwar mit der Standesvertretung als demokratischer Vertretung der Apotheker:innen. „Wir sind für die Zukunft wirklich gut aufgestellt.“

Vor rund vier Wochen habe Overwiening den Minister noch einmal angeschrieben und um einen Austausch gebeten. Eine Antwort lässt noch auf sich warten. „Ich weiß auch nicht, ob der Brief angekommen ist oder nicht. Ich habe keine Antwort darauf.“

Lauterbach lasse die Apotheken ausbluten. Wenn aber jetzt ein Berufsstand über fast 20 Jahre in seiner Honorierung keine Anpassung bekomme oder der jetzige Minister die eh schon schlechte Honorierung noch reduziere, eine große Kostensteigerung kompensiert werden muss und überbordende Bürokratie den Alltag erschwere, wüssten Apotheker:innen nicht mehr, wie sie Kund:innen mit Freude am Beruf und Existenzsicherung im Beruf versorgen sollen. „Wir wollen die Anlaufstelle bleiben, wir sind eine wichtige Instanz für den sozialen Frieden. Aber das funktioniert nicht, wenn man uns ausbluten lässt“, so Overwiening.

Die Zahl der Apotheken sinkt scheinbar unaufhaltsam – auch in den Ballungsräumen. Aber die Menschen seien dennoch nicht schlecht versorgt, so Philippi. Niedersachsen sei ein großes Flächenland: 50 Prozent der Menschen lebten in ländlichen Räumen. „Die müssen irgendwo versorgt werden.“ Deshalb gelte der Kampf der Politik: Apotheken überleben zu lassen, ähnlich wie die Krankenhäuser. „Wir müssen uns gute Mechanismen überlegen, ob das so funktionieren kann. Es kann sicherlich nicht funktionieren, indem wir die Einkommen der Apotheker kürzen an den Schachteln. Wir können es auch nicht ändern, indem wir eine Apotheke light aufsetzen, in der nur noch Medikamente verteilt werden. Wir brauchen ein gutes System.“

Doch das kann die Reform nicht leisten. Es fehlt an einer Honorarerhöhung, und auch das Skonto-Verbot führt zusätzlich zu Verlusten. Als Philippi auf darauf angesprochen wird, nimmt er den Gesundheitsminister in Schutz: Lauterbach habe bei einem Kamingespräch am Timmendorfer Strand zugesichert, die prognostizierten Verluste jeder Apotheke in Höhe von 25.000 Euro überprüfen zu wollen und eine entsprechende Maßnahme auf den Weg bringen zu wollen. „Natürlich ist es für einen Bundesgesundheitsminister, der einen doch sehr strengen Finanzminister hinter sich hat, gerade schwierig, da nochmal über Geld zu reden. Aber das darf es eigentlich nicht sein“, so Philippi. Sollen Apotheken im ländlichen Raum erhalten werden, müsse über Vorhaltepauschalen nachgedacht werden und darüber, ob die Länder einspringen.

Die Länder stünden an der Seite der Apotheker:innen, so Overwiening. „Ich möchte mich bei den Ländern nochmal bedanken auch im Namen aller Apotheker:innen. Sie verstehen, was Versorgung vor Ort wirklich bedeutet. Was es bedeutet, wenn in einer Kommune Apotheke und Arzt wegbrechen. Die Menschen fühlen sich abgehängt.“ Die Positionierungen, die aus den Ländern kämen, seien absolut hilfreich auch für die Abda als Argumentarien in der Bundespolitik.

Derzeit sind rund 500 Lieferengpässe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet. „Wir kämpfen an allen Fronten, damit die Menschen versorgt sind. Ich möchte behaupten, dass wir bei 98 Prozent aller Lieferprobleme Lösungen finden. Manchmal brauchen die ein bisschen Zeit. Manchmal sind es unorthodoxe Lösungen.“ Bei Letzteren verweist die Abda-Präsidentin auf die Herstellung von Ibuprofen-Fiebersäften aus Tabletten. Dabei es wichtig, ausreichend Entscheidungskompetenzen in der Apotheke haben. „Fragen Sie ihren Apotheker nach einer Lösung“, appelliert Overwiening an die Patient:innen.

Philippi versucht, die Lage zu entschärfen. Ein Lieferengpass sei klar definiert. Nämlich, dass „eine bestimmte Menge an Medikamenten für zwei Wochen nicht ausgeliefert werden kann.“ Das bedeutet, dass es irgendwo hakt – beim Transport oder, wenn „irgendwo eine Maschine ausgefallen ist“ – zwei Wochen. Allerdings haben Apotheken einen Vorrat, der einen Zeitraum von ein oder zwei Wochen überbrücken kann, bis der Engpass überwunden ist. Eine Alternative sei der Austausch auf Ersatzmedikamente.

„Ich möchte an der Stelle nur nicht, dass es den Anschein erweckt, es gebe 500 Medikamente gar nicht und es sei alles ganz furchtbar. Nein, es ist nicht so, dass auf einmal Menschen auf ihre Medikamente verzichten müssen. Sondern die sind auch da, es ist ganz ganz ganz selten der Fall, dass mal wirklich gar nichts über Monate kommt“, so Philippi. Es bedeute nicht, dass gar nichts da sei, sondern es gebe für zwei Wochen eine Lieferunterbrechung, und die meisten Apotheken hätten auch Arzneimittel auf Vorrat.

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