Der Arzneimittelgroßhandel in Deutschland stellt sich hinter die Vor-Ort-Apotheken: Der Bundesverband des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels (Phagro) befürwortet aber nicht nur ein Versandhandelsverbot mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Der Phagro greift den Arzneiversandhandel frontal an und wirft ihm vor, Patienten „unüberschaubaren Risiken auszusetzen“. Mit seiner Positionierung hat sich der Phagro als einer der letzten Verbände reichlich Zeit gelassen.
Eine Kontrolle von Temperatur oder Zeitraum, in dem ein Medikament mehr als 25 Grad Celsius ausgesetzt sei, finde im Versandhandel zu keinem Zeitpunkt statt, kritisiert der Großhandelsverband. „Die GDP gelten nicht für den Versandhandel“, so der Phagro. Für den Patienten berge dies „unüberschaubare Risiken, weil Konsistenz, Haltbarkeit und schlimmstenfalls auch die Wirksamkeit der Medikamente beeinträchtig werden, wenn sie längere Zeit erhöhten Temperaturen ausgesetzt seien“.
Patienten, die ein verschreibungspflichtiges Medikament hingegen in einer öffentlichen Apotheke kauften, könnten sicher sein, dass in der gesamten Transportkette vom Hersteller bis zur Abgabe in der Apotheke alle geltende Vorschriften strengstens eingehalten und überwacht würden. Für die Lagerung und den Transport der meisten Arzneimittel gelte eine Maximaltemperatur von 25 Grad Celsius. Dieser Wert dürfe allenfalls kurzzeitig überschritten werden.
Das bedeutet laut Phagro, dass etwa an einem heißen Sommertag die Auslieferung eines Medikaments sehr schnell erfolgen müsse. „Die pharmazeutischen Großhändler in Deutschland garantieren, dass die von ihnen transportierten Arzneimittel in der Regel nicht länger als zwei Stunden und temperiert in einem Lieferfahrzeug verbleiben. Zudem bestätigen die Hersteller, dass kurzzeitige Über- oder Unterschreitungen der Temperatur die Qualität der Arzneimittel nicht beeinträchtigen“, so der Großhandelsverband.
Die lückenlose Einhaltung der Temperaturvorschriften im pharmazeutischen Großhandel erfolge auf der Basis der Good Distribution Practice (GDP) Vorgaben der Europäischen Kommission und der entsprechenden deutschen Gesetzgebung. Völlig anders sei die Situation im Versandhandel: Die Ware werde zum Transport an einen Kurierdienst übergeben und zunächst in ein Verteilzentrum transportiert, das in der Regel nicht temperiert sei.
Von dort werde die Sendung in Auslieferfahrzeuge verladen, die ebenfalls meist nicht klimatisiert, oft aber über viele Stunden unterwegs seien. An einem heißen Hochsommertag erreichten die Temperaturen im Laderaum eines solchen Fahrzeugs leicht weit mehr als 40 Grad Celsius. „Im ungünstigsten Fall kann die Sendung nicht zugestellt werden und das Arzneimittel kehrt nach acht bis zehn Stunden Hitzefahrt in ein Verteilzentrum zurück. Am folgenden Tag beginnt die Prozedur erneut – oder der Empfänger kann sich die Sendung in einem Shop abholen. Auch diese sind in der Regel nicht klimatisiert“, beschreibt der Phagro den Ablauf im Versandhandel.
Abgesehen von den Risiken aus unkontrollierten Transportbedingungen biete der Versand von Arzneimitteln auch keinen zeitlichen Vorteil für die Patienten. Einsendung des Rezepts, Bearbeitung und Versandweg des Medikaments erfordern durchschnittlich ein bis zwei Tage. In einer öffentlichen Apotheke, die aus dem Großhandel täglich mehrfach unverzüglich und bedarfsgerecht beliefert wird, erhalte der Patient sein Medikament in aller Regel innerhalb weniger Stunden.
„Auch vor dem Hintergrund der schnellen und vor allem sicheren Versorgung der Patienten mit qualitativ hochwertigen und einwandfreien Medikamenten ist das generelle Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln der richtige Weg“, so Phagro-Chef Dr. Thomas Trümper. Der aktuelle Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) stelle „klar den Patientenschutz in den Vordergrund“ und stärke „die Qualität und Zuverlässigkeit der etablierten Lieferkette für sichere Arzneimittel“.
Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass ein Arzneimittel exakt die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit behält, die für ihre Behandlung nötig seien, unterstreicht der Phagro. Voraussetzung dafür seien höchste Standards – nicht nur in der Produktion, sondern auch beim Transport von Pharmazeutika.
Auch darauf ziele der aktuelle Referentenentwurf des BMG für das Gesetz zum Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln: Er stelle den Patientenschutz klar in den Vordergrund. Das Ziel sei, „durch ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die bestehende flächendeckende, wohnortnahe und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, insbesondere auch im akuten Krankheitsfall, weiterhin zu gewährleisten.“
Die Bundesregierung sieht allerdings kein Temperaturproblem beim Arzneimittelversand. Das ging im Dezember 2015 aus der Antwort des BMG auf eine Frage von Kathrin Vogler, Arzneimittelexpertin der Linksfraktion, hervor. Vogler hatte sich mit Blick auf die Temperaturtests der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) an die Bundesregierung gewandt.
Kammerpräsident Lutz Engelen hatte im Sommer zwei Pakete mit Temperaturloggern an einen Kollegen am Tegernsee verschickt. Der Test zeigte, dass die Pakete nicht wie vorgegeben unterhalb von 25 Grad versendet wurden. Vogler nahm diesen Test zum Anlass, sich an die Bundesregierung zu wenden. Ingrid Fischbach (CDU), parlamentarische Staatssekretärin im BMG, sah kein Problem: „Der Bundesregierung liegen im Hinblick auf Verstöße von Versandapotheken gegen vorgegebene Lagertemperaturen beim Versand von Arzneimitteln keine näheren Erkenntnisse vor.“ Der Grund ist simpel: „Für Apotheken, die Arzneimittel an Endverbraucher versenden, gilt die GDP-Richtlinie insoweit nicht“, stellt Fischbach klar.
Gleichwohl müsse auch beim Versand eine nachteilige Beeinflussung der Qualität und Wirksamkeit ausgeschlossen werden. Versandapotheken müssten laut Apothekengesetz (ApoG) mit einem Qualitätssicherungssystem sicherstellen, „dass das zu versende Arzneimittel so verpackt, transportiert und ausgeliefert wird, dass seine Qualität und Wirksamkeit erhalten bleibt“, schrieb Fischbach. Die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) enthalte eine entsprechende Verpflichtung. Die Überwachung obliege den zuständigen Landesbehörden.
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