Pharmagesetz: Abteilungsleiter warnte Lauterbach Lilith Teusch, 16.10.2024 14:30 Uhr
Mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG) haben Hersteller patentgeschützter Arzneimittel nun die Möglichkeit, vertrauliche Erstattungsbeträge für neue Wirkstoffe zu vereinbaren. Damit soll der deutsche Markt attraktiver werden. Diese geheimen Preise wurden im Gesetzgebungsverfahren jedoch heftig kritisiert: Vor allem die Krankenkassen warnten vor einem erheblichen Verwaltungsaufwand. Doch nicht nur die Verbände lehnten die Neuregelung offenbar ab: Auch aus dem eigenen Haus von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wurden Stimmen laut, die die Regelung aufgrund ihrer Komplexität und des hohen Aufwands kritisierten. Am Ende setzte sich Lauterbach einfach durch. Das Gesetz wurde Anfang Juli verabschiedet.
Während das Engpass-Gesetz (ALBVVG) die Daumenschrauben im Bereich der Generikaindustrie ein Stück weit lockern soll, hat das MFG zum Ziel, die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von neuartigen Arzneimitteln zu verbessern – so zumindest die Hoffnung: „Das Gesetz wird zu besserer Forschung in der Medizin in Deutschland führen“, erklärte Lauterbach. Vergebens hatten die Kassen sich gegen die vertraulichen Erstattungspreise ausgesprochen.
Eine bis zuletzt heftig kritisierte Regelung war die Einführung von vertraulichen Erstattungspreisen. Bisher wurde der zwischen den Herstellern und dem GKV-Spitzenverband ausgehandelte Erstattungsbetrag für patentgeschützte Arzneimittel öffentlich gelistet. Oft dient dieser Preis international als Referenz. Dies schränkt aus Sicht der Konzerne den Verhandlungsspielraum ein, da ein öffentlich gelisteter Preis die Preise in anderen Ländern beeinflussen und damit flexible Anpassungen erschweren könnte. Außerdem führen unterschiedliche Marktpreise zu einem regen Import-Export-Geschäft, das bislang nur durch Kontingentierung erschwert wird.
Schon länger gab es den Verdacht, dass der US-Pharmakonzern Eli Lilly seine Milliardeninvestition in Rheinland-Pfalz an die Einführung vertraulicher Erstattungspreise geknüpft hat. „Lex Lilly“ wurde das MFG daher genannt, auch wenn dem Vernehmen nach weitere Konzernchefs im Privatjet eingeflogen sind, um die Bundesregierung unter Druck zu setzen.
Eine Recherche von WDR, NDR, Süddeutscher Zeitung und der Journalistenkooperative „Investigate Europe“ hat diesen Verdacht bestätigt. Die gerichtlich freigegebenen Akten enthalten nicht nur deutliche Hinweise auf eine Einflussnahme von Pharmakonzernen auf das Gesetzgebungsverfahren, sondern zeigen auch, dass Lauterbach von seinen eigenen Leuten vor den komplexen, negativen Folgen der Gesetzesänderung gewarnt wurde.
Ganz geheim geht nicht
„Im Rahmen der Verhandlung des Erstattungsbetrags nach SGB V § 130b werden vertrauliche Rabatte ermöglicht. So wird negativen Effekten (Referenzwirkung) aufgrund eines transparenten Preises in Deutschland auf andere internationale Märkte entgegengewirkt“, heißt es in den Ministeriumsdokumenten vom 12. September 2023. „Damit wird den Bedenken der pharmazeutischen Industrie Rechnung getragen, die durch den transparenten Erstattungsbetrag negative Folgeeffekte in anderen Ländern befürchtet, die sich auf den deutschen Preis beziehen.“
Diese Geheimpreise können jedoch nicht vollständig vertraulich bleiben. Bestimmte Anspruchsberechtigte wie Selbstzahler, Privatversicherte oder Kliniken müssen über den realen Preis informiert werden. Außerdem sollen die Hersteller die Differenz der Großhandels- und Apothekenmargen sowie der Umsatzsteuer ausgleichen. Der Bezug des Arzneimittels muss daher gegenüber dem GKV-Spitzenverband nachgewiesen werden, der innerhalb von zehn Tagen die Erstattung durch den Hersteller veranlasst.
Der Mehraufwand für die Krankenkassen wäre enorm, warnte man im Bundesgesundheitsministerium (BMG): Bei 40 Neueinführungen sei von einer durchschnittlichen Belastung von rund 80.000 Euro pro Krankenkasse im ersten Jahr auszugehen. Und da die betroffenen Arzneimittel von der Importquote ausgenommen seien, fielen nicht nur preisgünstige Reimporte weg, sondern auch der Preisdruck auf die Originalhersteller – was die Kosten für die GKV weiter in die Höhe treiben könnte.
So empfahl die Fachabteilung dem Minister, an einem Treffen mit dem CEO von Lilly teilzunehmen, nachdem es bereits Gespräche mit dem Kanzleramt und dem Wirtschaftsministerium gegeben hatte. „In einem gemeinsamen Gespräch nach Veröffentlichung der Eckpunkte zum Medizinforschungsgesetz kann dem CEO von Eli Lilly Dave Ricks mitgeteilt werden, dass das BMG dem Wunsch von Eli Lilly nachkommt und im Rahmen des MFG plant, vertrauliche Rabatte für den Herstellerpreis zu ermöglichen.“ In diesem Zusammenhang könne „der Planungsstand der Investitionsentscheidung zur Errichtung einer neuen Herstellungsstätte in Deutschland von Eli Lilly abgefragt werden“.
Kurz darauf sollte zu den Eckpunkten ein „Praxis-Check“ mit den CEOs von Bayer, Boehringer, Miltenyi und Biontech stattfinden. „Diese Unternehmen waren bereits am Zukunftsrat des Bundeskanzlers beteiligt“, heißt es in den Unterlagen.
Auswirkungen auf das Gesamtsystem
Doch intern wurden auch Warnungen laut: Die Kassen müssten in Vorleistung gehen, was ihre Liquidität gefährden könne, und der bürokratische Aufwand würde stark steigen. Es sei mit Widerstand von GKV, PKV und Patientenvertretungen zu rechnen, da höhere Transaktionskosten und potenzielle Kostensteigerungen für die GKV die Folge wären. Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen sei die Regelung unattraktiv. Zwar bleibe der Erstattungsbetrag vertraulich, jedoch müssten bestimmte Nutzergruppen wie Apotheken und Krankenkassen Zugang erhalten, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.
„Die Folge-Probleme eines der Versorgungs- und Logistik-Kette unbekannten Rabatts sind eindrucksvoll und auch politisch problematisch. Auch die Overhead-Kosten sind eindrucksvoll“, schrieb der zuständige Abteilungsleiter im BMG Thomas Müller Ende Oktober 2023 an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Da Lauterbach aber entschieden habe, einen Referentenentwurf zu erarbeiten, forderte Müller Alternativvorschläge an: So könnten die öffentliche Bekanntmachung untersagt oder der Erstattungsbetrag in einen „vertraulichen Erstattungsrabatt“ umgewidmet werden. „Müssen wir dann nach der Pharmastrategie noch vom Minister entscheiden lassen.“
„Eine öffentlich zugängliche Listung des tatsächlichen Preises würde entfallen, was jedoch auch trotz vorgesehenen gesetzgeberischen Folgeanpassungen zu potenziell negativen Auswirkungen führen würde“, heißt es weiter. Denn die Komplexität der Abrechnung würde sich durch eine solche Regelung erhöhen.
Vertrauliche Preise nur für Lifestyle-Arzneimittel
Im November 2023 wurde intern erneut davor gewarnt, dass die Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge für innovative Arzneimittel zu Umsetzungsproblemen führen könnte. Angedacht wurde, diese Maßnahme auf Arzneimittel im Lifestyle-Bereich zu beschränken – auch dies ein konkretes Zugeständnis an Lilly: „Zudem wäre sichergestellt, dass die Zusage gegenüber Lilly eingehalten würde, da Mounjaro, welches zur Behandlung von Adipositas zugelassen werden soll, darunter fallen würde. Potenziell negative Auswirkungen würden aufgrund des eingeschränkten Anwendungsbereichs minimiert.“
Müller selbst muss die geplante Regelung gegen seine eigene Überzeugung erarbeitet haben, immerhin hatte er vor seiner Zeit im BMG als Abteilungsleiter beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) das AMNOG-Verfahren maßgeblich miterarbeitet.
Doch die Kritik prallte an Lauterbach ab. „Zur Klarstellung: Minister hat heute in RS entschieden, dass der vertrauliche Erstattungsbetrag im MFG umgesetzt werden soll“, teilte Müller am 29. November seinen Fachabteilungen kurz und knapp mit.