Nutzenbewertung

Pharmafirmen pokern mit Verweigerung

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Noch ist es ein fernes Grollen. Fachkreise streiten um etwas Abstraktes, nämlich um die Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Doch der Sturm kommt bedrohlich näher. Im Ernstfall könnten es die Pharmafirmen richtig krachen lassen. Keine Innovationen für deutsche Patienten! Millionen Betroffene in der Medizin-Falle! Am Wochenende gab es eine erste Kostprobe, was Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) drohen könnte.

Gleich zwei Hersteller hatten in den vergangenen Wochen bei dem mit dem AMNOG eingeführten Verfahren das Handtuch geworfen und ihr Produkte vom Markt genommen respektive gar nicht erst ausgeliefert. Damit bleibt deutschen Patienten und Ärzten zum ersten Mal der Zugang zu einer neuartigen Therapie verwehrt - ein Systembruch, an den sich Ulla Schmidt und die SPD nie getraut hatten.

Dabei ist eigentlich alles klar - und im Prinzip auch von den Pharmafirmen akzeptiert. Wer ein Arzneimittel neu auf den Markt bringt, muss nachweisen, dass es einen Zusatznutzen gegenüber bestehenden Therapieoptionen hat, um mit den Kassen frei über den Erstattungspreis verhandeln zu können. Je wertvoller ein Medikament also ist, desto teurer darf es am Ende werden.

Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Frage, womit die tatsächliche oder vermeintliche Innovation verglichen wird. Doch auch das ist genau geregelt: Als „zweckmäßige Vergleichstherapie“ ist für den Nachweis eine Methode zu wählen, die evidenzbasiert, zugelassen und - am besten durch den G-BA selbst - medizinisch anerkannt ist. Bei mehreren Möglichkeiten muss die wirtschaftlichste gewählt werden, vorzugsweise eine mit Festbetrag.

Dass sich Nutzenbewerter und Hersteller in diesem Punkt unversöhnlich gegenüber stehen würden, dürfte niemanden überrascht haben. Am Ende entscheidet zwar der G-BA, welche Vergleichstherapie die richtige ist. Unüberbrückbar werden die Gegensätze aber dann, wenn der Hersteller die entsprechenden Studien nicht durchgeführt hat - und auch nicht durchführen will.


„Die Grundsatzfrage ist, ob man das AMNOG-Verfahren als Nutzenbewertungs- oder als Kostendämpfungsmaßnahme verstehen will“, heißt es beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Eine politische Moderation des Prozesses wäre aus Sicht der Pharmalobby für alle Beteiligten sinnvoll. Denn die für die Definition einer zweckmäßigen Vergleichstherapie ausgewählten Kriterien dürften nicht dazu führen, dass Innovationen blockiert würden.

Nun hatte aber ausgerechnet das BMG auf Drängen der Pharmalobby in einer Rechtsverordnung dezidiert die Regeln für den G-BA vorgegeben. Eine „politische Moderation“ könnte also genaugenommen nur noch dahin gehen, das Gremium endgültig seiner Unabhängigkeit zu berauben. Damit wäre man wieder beim Hauptkritikpunkt der Industrie am G-BA angekommen - nämlich dass dieser, seiner tatsächlichen Besetzung zum Trotz, nichts als ein verlängerter Arm der Kassen ist.

Diese Sichtweise ist in bestimmten Kreisen durchaus salonfähig: „Politik soll im Streit mit den Kassen vermitteln“, subtitelte in einer augenfälligen Verkürzung der Verhältnisse heute etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) - und lieferte an anderer Stelle passenderweise gleich die Zahlen zu den Milliardenüberschüssen der Kassen mit.

Doch auch in der Politik gibt es Bestrebungen, den G-BA stärker unter die Fuchtel zu stellen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn (CDU), etwa findet, dass es in den Beratungsgesprächen zwischen Industrie und GBA zum konstruktiven Dialog kommen muss und nicht zu einseitigen Verkündigungen: „Manchmal fragt man sich, ob wir für so was nicht besser eine Behörde haben sollten statt einer unflexiblen Selbstverwaltung. Wir schauen uns das an und müssen gegebenfalls nachsteuern.“

Für dieses Szenario allerdings hatte der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Dr. Rainer Hess, schon vor einem Jahr eine Antwort parat gehabt: „Die Regierung muss dann die volle Verantwortung für die Entscheidungen übernehmen.“ Mal sehen, wie viele Nichteinführungen es braucht, bis die Politik das Ruder übernimmt - und der Zusatznutzen eine relative Angelegenheit wird.

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