Mitte April will Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die Ergebnisse des Pharmadialogs vorstellen. Weil die Bundesländer daran nicht beteiligt sind, hat nach Bayern und dem Saarland auch Rheinland-Pfalz Forderungen in einem Positionspapier niedergeschrieben. Die Liste liest sich – für die rot-grüne Landesregierung überraschend – wie der Wunschkatalog der um Boehringer Ingelheim versammelten Pharmaindustrie im Land. Vor allem soll die Macht der Krankenkassen gebrochen werden.
Der GKV-Spitzenverband habe „seine strukturelle Übermacht” in den ersten drei Jahren AMNOG dazu genutzt, eine faire Preisermittlung für Innovationen zu verhindern und die Erstattungsbeträge weit unter das europäische Vergleichsniveau zu ziehen, kritisiert die rot-grüne Landesregierung. Der wichtigster „Hebel“ seien dabei die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Dieser „generische Preisanker” widerspreche der politischen Intention, dass „im AMNOG-Verfahren Arzneimittel mit nachgewiesenem Zusatznutzen einen fairen Preis bekommen sollen”.
Der Vergleich von Kosten einer generischen Therapie mit denen einer innovativen Therapie sei keinesfalls sachgerecht. Eine Preisbildung nach Maßgabe einer billigen Vergleichstherapie setze keinen Anreiz für Arzneimittelinnovationen. Sie benachteilige sogar gerade die Indikationen, in denen lange kein therapeutischer Fortschritt erfolgt sei.
„Die strukturelle Übermacht des GKV-Spitzenverbandes bei den Erstattungsbetragsverhandlungen muss durch einen adäquaten gesetzlichen Rahmen begrenzt werden”, fordert das Positionspapier. Vor allem sei dringend klarzustellen, dass das Preisniveau von Generika kein Orientierungsmaßstab für Erstattungsbeträge von innovativen Arzneimitteln sein dürfe. Im Sozialgesetzbuch (SGB V) müsse ausdrücklich festgehalten werden, dass die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie kein maßgebliches Verhandlungskriterium bei Arzneimitteln mit Zusatznutzen sein dürften.
Weit entgegenkommen will Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) den Pharmakonzernen auch bei ihren Preisforderungen: „Erstattungsfragen sind für Pharmaunternehmen ein Schlüsselfaktor im weltweiten wie im konzerninternen Standortwettbewerb”, heißt es im Positionspapier der Initiative „Pharma in Rheinland-Pfalz“. Im Bereich der Arzneimittelerstattung sehe man daher Nachbesserungsbedarf bei der öffentlichen Listung von verhandelten Erstattungsbeträgen, bei der Wirtschaftlichkeit von Erstattungsbeträgen sowie bei den Studiendesigns für die Zulassung und die frühe Nutzenbewertung. Darüber hinaus bestehe auch Handlungsbedarf bei der Erstattung im patentfreien Marktsegment.
Die Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband liefen „in der Praxis noch nicht wirklich rund”, heißt es in dem Papier. „Dem GKV-Spitzenverband ist es möglich, in allen Phasen maßgeblich Einfluss zu nehmen: Im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hat er 50 Prozent des Stimmenanteils der stimmberechtigten Bänke und wirkt meinungsbildend. Er legt dort zunächst die konkreten Vorgaben für die frühe Nutzenbewertung fest.“
Im nächsten Schritt entscheide der G-BA über das Ergebnis der Nutzenbewertung. Anschließend führe der GKV-Spitzenverband in einer Monopolstellung die Preisverhandlungen mit dem betroffenen Hersteller. „Der GKV-Spitzenverband ist damit – bildlich gesprochen – als Regelgeber, Schiedsrichter und Spieler am AMNOG-Prozess beteiligt.”
So werde die frühe Nutzenbewertung in der Praxis oft von ökonomischen Gesichtspunkten überlagert, statt allein eine wissenschaftliche Arzneimittelbewertung nach den Standards der evidenzbasierten Medizin zu sein, wie vom Gesetzgeber intendiert. Die Initiative Pharma in Rheinland-Pfalz fordert „dringend” eine klare Trennung von wissenschaftlicher Bewertung und Preisverhandlung. Der GKV-Spitzenverband dürfe als Partei keinen Einfluss auf die Nutzenbewertung selbst haben.
Mit der öffentlichen Listung der verhandelten Erstattungsbeträge entstehe den Herstellern ein wirtschaftlicher Schaden auf anderen Märkten. Damit schließt sich die rot-grüne Landesregierung der Sichtweise der Industrie nahtlos an. Denn jeder Erstattungsbetrag in Deutschland führe zu Preisanpassungen in vielen anderen Ländern in Europa und Asien, die auf den deutschen Listenpreis referenzierten. Diese Situation sei wirtschafts- und gesundheitspolitisch völlig kontraproduktiv. „Auch in anderen Bereichen der GKV und der Wirtschaft werden verhandelte Rabatte selbstverständlich nicht ins Schaufenster gestellt – zum Vorteil aller Beteiligten”, so das Positionspapier.
Erleichtern will die rot-grüne Landesregierung der Pharmaindustrie zudem die Zulassung neuer Arzneimittel. Die Zulassungsstudien müssten auch bei der Nutzenbewertung anerkannt werden. Derzeit stellten aber bei der AMNOG-Bewertung IQWiG und G-BA diese Studien häufig methodisch in Frage. Trotz vorliegender hochwertiger Evidenz aus der Zulassung werde der Zusatznutzen dann formal als „nicht belegt“ eingestuft. „Diese Situation muss dringend verbessert werden”, fordert die rheinland-pfälzische Landesregierung.
Anpacken will man in Mainz auch das Problem von Lieferengpässen: Um die Versorgungsqualität und -sicherheit der Patienten mit Arzneimitteln zu erhöhen, bedürfe es bei auch bei Rabattverträgen Modifikationen, die eine bessere Planbarkeit der Produktionsmengen ermöglichten. Die Zeit zwischen Zuschlagserteilung und Auslieferungsbeginn sollte verlängert werden. Für nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel sollte die Option einer Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Kassen für Jugendliche geprüft werden.
Der Pharmadialog in Rheinland-Pfalz wurde Ende November 2013 auf Initiative und unter Federführung des damaligen Gesundheitsministers Alexander Schweitzer mit Beteiligung des rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministeriums und der rheinland-pfälzischen Chemie- und Pharmaunternehmen in Mainz gegründet. „Er versteht sich gezielt als Pendant zum 2014 gestarteten Pharmadialog auf Bundesebene, bei dem die Länder leider nicht beteiligt wurden. Der rheinland-pfälzische Pharmadialog berücksichtigt insbesondere die Anliegen und Standortfragen der Pharmaunternehmen im Lande.”
Der rheinland-pfälzische Pharmadialog unter Leitung von Ministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) erfahre die „volle Unterstützung der rot-grünen Landesregierung” und solle auch über 2016 hinaus fortgesetzt werden.
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