Kritik an Gesetzentwurf

„Pharma-Arzt-Apotheken-Alimentationsprogramm“

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Berlin -

Seit gestern liegt der Referentenentwurf zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG) vor. Damit will Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Prävention bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen stärken. Neben drei neuen pharmazeutischen Dienstleistungen sieht der Entwurf aktuell auch vor, dass der Zugang zu Statinen erleichtert werden soll. Kritik kommt von Kassen und Ärzten.

„Der Referentenentwurf zum Gesundes-Herz-Gesetz könnte auch Pillen-statt-Prävention-Gesetz heißen“, kommentiert Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Der darin vorgesehene breite Einsatz von Screenings und Statinen schon bei Kindern und Jugendlichen gehe in die völlig falsche Richtung. „Statine sind keine Smarties“, so Reimann. Solche Entscheidungen sollten auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz über die etablierten Bewertungswege des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) getroffen werden.

Die Schwerpunktsetzung des GHG werfe grundsätzliche Fragen auf. Es drohe eine problematische Perspektivverengung: Lebensstil-Fragen, die in gesamtgesellschaftlicher und elterlicher Verantwortung liegen, würden in die Medizin verschoben, und Kinder zu chronisch kranken Patienten gemacht, sagt Reimann.

Statt die Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, sollen Krankheitssymptome mit Medikamenten behandelt werden, deren Nutzen nicht einmal klar nachgewiesen ist. „Damit fördert man eine zunehmende Medikalisierung von Krankheitsrisiken, ohne an die Ursachen zu gehen“, so Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek).

Die Krankenkassen böten den Versicherten heute eine Fülle von Präventionsangeboten in geprüfter Qualität an. Das sei auch ein Ergebnis politischer Entscheidungen für eine stärkere Präventionsorientierung in der Gesundheitsversorgung und eine Abkehr von der Reparaturmedizin. „Nun sollen die Gelder für die Präventionskurse in großem Stil für Arzneimittel umgewidmet werden – ein völlig falscher Weg“, so Elsner. Die Umsetzung mittels Verordnungsermächtigung sei zudem ein weiterer Schritt in Richtung „Staatsmedizin“.

„In seinem eigenen Referentenentwurf erkennt das BMG zwar an, dass Bewegung und Ernährung die wichtigsten Faktoren für ein gesundes Herz sind, antwortet aber mit einem Pharma-Arzt-Apotheken-Alimentationsprogramm“, kommentiert Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes. Statt diese zu fördern, würden so qualitätsgesicherte Bewegungs- und Ernährungskurse, Suchtpräventionskurse und Kurse zur Stressbewältigung und psychischen Gesundheit in die Röhre schauen, weil das Geld fehle.

„Viel hilft viel“ – nicht bei Medikamenten

Nicht nur die Kassen, auch von Seiten der Ärzte kommt Kritik: „Immer mehr Tests und eine Medikamentenvergabe per Gießkannenprinzip lehnen wir ganz klar ab. Das hier angewandte Prinzip ,Viel hilft viel‘ ist aus medizinischer Sicht mehr als zweifelhaft, gerade auch, weil die Evidenzlage sehr dünn ist“, erklären die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier. Gerade beim Einsatz von Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen sei äußerste Vorsicht geboten. Auch die psychosozialen Folgen müssten zwingend mitgedacht werden.

Der zielgerichtete Einsatz von Statinen sei sinnvoll und wichtig. Das sei jedoch immer eine individuelle Entscheidung zwischen Ärzt:in und Patient:in. „Es ist sehr befremdlich, wie detailliert der Gesetzgeber in konkretes ärztliches Handeln eingreifen will, beispielsweise indem er darlegt, wann Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Statinen haben. Das ist nichts, was eine staatliche Behörde zu entscheiden hat“, so der Hausärzteverband.

Prävention würde Studien zufolge im Wesentlichen von einer gut koordinierten Versorgung und einer engen Zusammenarbeit zwischen Hausarztpraxis und Facharztpraxis abhängen. „Genau diese gezielte, strukturierte Versorgung klammert der Gesetzentwurf vollkommen aus und setzt stattdessen auf flächendeckende und anlasslose En-masse-Therapie. So funktioniert Versorgung nicht und schon gar nicht Prävention!“, schließen Buhlinger-Göpfarth und Beier.

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