Keine Reform mehr in aktueller Wahlperiode

Pflegeversicherungsbeiträge vor deutlicher Erhöhung dpa, 28.05.2024 08:15 Uhr

Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt massiv; eine Pflegereform ist aktuell dennoch nicht in Sicht. Foto: Peter Atkins/stock.adobe.com
Berlin - 

Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und steigt, doch der Gesundheitsminister sieht keine Chance mehr auf eine Pflegereform in dieser Wahlperiode. Dabei zeichnen sich große Finanzierungslücken ab.

Die Beitragszahler müssen sich Anfang 2025 auf eine weitere Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge einstellen. Nach der DAK rechnet auch der Verband der Ersatzkassen NRW (vdek) mit einem Anstieg zum Jahreswechsel. „Die Pflegekassen gehen davon aus, dass die Finanzmittel im ersten Quartal 2025 insgesamt weniger als eine Monatsausgabe betragen. Für diesen Fall darf die Bundesregierung den Beitragssatz per Rechtsverordnung anheben“, erklärte der Verband der „Rheinischen Post“ am Dienstag. „Die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit des Gesamtsystems macht nach aktueller Datenlage eine Beitragssatzanhebung voraussichtlich schon zu Beginn des Jahres 2025 erforderlich.“

Keine Pflegereform in Sicht

DAK-Vorstandschef Andreas Storm sprach Anfang April von einer nötigen Erhöhung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung um etwa zwei Zehntel zum kommenden Jahreswechsel. Der Beirat des Stabilitätsrats prognostiziert ebenfalls einen Anstieg der Krankenkassenbeiträge. Beiratsvorsitzender Thiess Büttner erwartet eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge im nächsten Jahr um mindestens einen halben Prozentpunkt.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte am Montag deutlich gemacht, dass er keine Chance mehr auf eine Pflegereform in dieser Wahlperiode sieht – obwohl die Zahl der Pflegebedürftigen massiv steigt. Grund dafür seien die unterschiedlichen Ansichten der Ampel-Partner.

Finanzierungsreformen gefordert

Vdek-Chef Dirk Ruiss nannte dies „mehr als enttäuschend“. Er fordert, die privaten Versicherer in die Pflicht zu nehmen: „Die Verpflichtung der privaten Pflegeversicherung, sich mit einem Finanzausgleich an der sozialen Pflegeversicherung zu beteiligen, könnte zu einer Entlastung von bis zu zwei Milliarden Euro jährlich führen“, sagte er der „Rheinischen Post“. Zugleich fordert er die Finanzierung der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige durch Steuermittel. „Das würde 3,7 Milliarden Euro Entlastung für die Pflegeversicherung bedeuten.“

Eigentlich sollten die Finanzen der Pflegeversicherung bis 2025 abgesichert sein. Dafür hatte der Bundestag im vergangenen Jahr einen Beitragsanstieg für Kinderlose auf 4 Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent beschlossen. Der Arbeitgeberanteil ging auf 1,7 Prozent herauf. Bei mehr Kindern sinkt der Beitrag. Der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen prognostizierte noch im Oktober Handlungsbedarf bei den Beiträgen spätestens für 2025. Tatsächlich zeichnen sich nach Angaben der Experten aber bereits jetzt erhebliche Finanzierungslücken ab.

Experten fordern Selbstbeteiligung

Der Freiburger Sozialexperte Bernd Raffelhüschen plädierte für eine einjährige Selbstbeteiligung der Betroffenen an den Kosten. „Die Kostenlawine ist nicht mehr aufzuhalten. Um die Folgen abzumildern, sollte eine Pflege-Karenzzeit schnellstmöglich eingeführt werden“, sagte er der „Bild“. Pflegebedürftige müssten dann das erste Jahr die Pflegekosten selbst zahlen. „Erst danach fließen Leistungen aus der Pflegeversicherung.“ Der Ökonom sagte einen stark steigenden Beitragssatz voraus: „Die Pflegeversicherung könnte bis 2040 auf circa sieben Prozent für Kinderlose steigen.“

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) erwartet einen weiteren deutlichen Anstieg der Pflegefälle wegen der Zunahme von Demenzerkrankungen. „Schätzungen zufolge wird sich die Anzahl von Menschen mit Demenz in Zukunft weiter stark erhöhen, sollte kein Durchbruch in Therapie und Prävention erzielt werden“, sagte die stellvertretende MDK-Bundesvorstandsvorsitzende Carola Engler der „Augsburger Allgemeinen“. Die Gutachter der Pflegekassen hätten im vergangenen Jahr 160 000 Erstanträge mehr bearbeiten müssen als im Vorjahr. Insgesamt sei die Zahl der Erstanträge auf 1,35 Millionen gestiegen.

Lauterbach warnte am Montag vor einem explosionsartigen Anstieg der Pflegefälle. Im vergangenen Jahr kamen etwa 35.000 zusätzliche Pflegebedürftige hinzu, wodurch die Gesamtzahl auf 361.000 stieg, teilte der Spitzenverband der Krankenkassen mit.