„Es wird eine große Reform sein“

Pflegeversicherung: Lauterbach unter Druck dpa, 07.10.2024 16:26 Uhr aktualisiert am 07.10.2024 17:05 Uhr

Plötzlich wird die Pflegeversicherung zum Problem für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Plötzlich hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein Problem: Die Pflegeversicherung braucht dringend Geld, sein Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) könnte die Situation noch verschlimmern. Schon im Februar droht ein Defizit. Kurzfristig lud Lauterbach zu einer Pressekonferenz und kündigte den großen Wurf an. Eine wichtige Frage ließ er erst einmal unbeantwortet.

Lauterbach hat vor dem Hintergrund der Finanzprobleme der Pflegeversicherung eine „große Reform“ angekündigt. Details zu möglichen Beitragssatzsteigerungen nannte er in Berlin vor Journalisten auf wiederholte Nachfragen aber nicht. Nicht zu bestreiten sei, dass die Pflegeversicherung derzeit im „Beitragssatzdruck“ sei, sagte Bundesgesundheitsminister lediglich.

In wenigen Wochen werde eine Pflegereform vorgestellt, aktuell sei man in der Feinabstimmung. „Es wird eine große Reform sein.“ Es gehe dabei um die Finanzierung, etwa um die Beiträge, die Eigenbeteiligung in der stationären Pflege, um mögliche Vollkasko-Elemente und eine Stärkung der Angehörigenpflege. Zum Thema Beitragssätze sagte er, dies werde im Gesamtpaket mit der Reform bekanntgegeben.

Stabilität trotz Einnahmeschwäche

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hatte zuvor berichtet, in der Ampel-Koalition werde fieberhaft an einer Notoperation gearbeitet. Unter Berufung auf Koalitionskreise schrieb das RND, der Pflegeversicherung drohe eine Zahlungsunfähigkeit.

Lauterbach erklärte dazu: „Die Pflegeversicherung ist nicht insolvent, ihr droht auch nicht die Insolvenz.“ Die Bundesregierung bürge dafür, dass Pflegebedürftige und Angehörige sich auch in Zukunft darauf verlassen könnten, dass die Pflegeversicherung die Versorgung bezahle und für die Leistungen aufkomme. Doch nun muss geklärt werden, woher das Geld dafür kommen soll, und wie sehr die Beitragszahler dafür zur Kasse gebeten werden.

Eine erste Pflegereform hatte die Koalition schon umgesetzt. Sie brachte Entlastungen für Pflegebedürftige bei Eigenanteilen, die sie im Heim zahlen müssen, aber auch bereits einen höheren Beitrag: Für Menschen ohne Kinder stieg er Mitte 2023 auf 4 Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Familien mit mindestens zwei Kindern zahlen – bezogen auf den Arbeitnehmeranteil – jetzt weniger als zuvor.

Mehr Pflegebedürftige und steigende Löhne

Doch die Finanzprobleme der Pflegeversicherung blieben. Das Gesundheitsministerium (BMG) begründet das nun unter anderem mit eben dieser vorangegangenen Reform, die Pflegebedürftige in Heimen erheblich entlastet habe, und auch damit, dass es mehr Pflegebedürftige als angenommen gebe. 360.000 Menschen sind Lauterbach zufolge im vergangenen Jahr dazugekommen, in diesem Jahr rechne man mit zusätzlichen Pflegebedürftigen. Zudem seien Löhne in der Pflege gestiegen.

Der GKV-Spitzenverband hatte schon im Juni ein Minus von 1,5 Milliarden in diesem und 3,4 Milliarden Euro im nächsten Jahr prognostiziert. Rechnerisch entspräche das einer Beitragsanhebung von 0,2 Punkten zum nächsten Jahr. Nun wird in der Regierung laut RND aber von einem Erhöhungsbedarf von 0,25 bis 0,3 Punkten ausgegangen. Auch der Spitzenverband der Kassen korrigierte am Montag auf 0,25 Prozentpunkte nach oben. Wenn andere Reformen ausblieben, sei mindestens so viel notwendig, damit die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung gesichert bleibe.

Auch bei den Krankenkassenbeiträgen wird mit einem Anstieg im nächsten Jahr gerechnet. Beim Kassen-Spitzenverband ist von mindestens 0,6 Prozentpunkten die Rede, laut RND könnten es auch 0,7 werden. Zusammen mit dem Pflegeversicherungsplus also bis zu 1 Prozent Abzüge mehr? Das wären bei einem Bruttolohn von 3000 Euro grob gerechnet 15 Euro weniger netto im Monat (die anderen 15 Euro zahlt der Arbeitgeber) – aufs Jahr gerechnet also 180 Euro weniger.

Genaueres wird erst in den kommenden Wochen klar. Der sogenannte Schätzerkreis gibt jährlich im Herbst eine Prognose zur Finanzentwicklung bei den Krankenkassen und eine rechnerisch daraus folgende mögliche durchschnittliche Beitragserhöhung ab.

Steuergeld statt höhere Beiträge?

Der GKV-Spitzenverband forderte Sofortmaßnahmen, um eine Beitragssatzanhebung in der Pflegeversicherung doch noch abzuwenden. Die Versicherung hat demnach während der Corona-Pandemie etwa 5,3 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben müssen, etwa für Tests oder Boni fürs Personal – damit habe der Staat sie allein gelassen und müsse das nun ausgleichen. Außerdem sollte die Pflegekasse nicht Rentenbeiträge für pflegende Angehörige zahlen müssen, dies solle ebenfalls aus Bundesmitteln finanziert werden.

Mit beiden Schritten könnten nach Rechnung des Verbands rund neun Milliarden Euro zusammenkommen. Doch auch die lassen sich nicht einfach aus dem Hut zaubern. Die Ampel müsste politisch entscheiden, solche Summen anderswo zu mobilisieren – und das bei einem Haushalt, in dem es sowieso schon an allen Ecken und Enden knirscht. „Jetzt ist keine Zeit zu verlieren. Die Ampel-Koalition muss unverzüglich erklären, woher das Geld kommen soll“, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz.