In Bonn findet heute vor der Vergabekammer des Bundes die erste Verhandlung zu Glivec (Imatinib, Novartis) statt. Es geht um die Ausschreibung von vier Kassen und um die Frage, ob eine patentgeschützte Indikation ganze Wirkstoffe für Ausschreibungen sperren darf. Den Apotheken drohen Wirrungen wie vor anderthalb Jahren bei Lyrica (Pregabalin, Pfizer).
Glivec ist seit 2001 auf dem Markt, der „konsolidierte Patentschutz“ fiel in Deutschland am 21. Dezember. Seitdem haben zahlreiche Hersteller entsprechende Generika auf den Markt gebracht. Wie das Original können die Präparate eingesetzt werden zur Behandlung der chronisch-myeloischen Leukämie (CML) sowie anderen malignen Erkrankungen. Nicht zulässig ist jedoch der Einsatz zur Therapie von gastrointestinalen Stromatumoren (GIST). Hier läuft das Patent erst 2021 ab.
Damit stellt sich die Frage, ob die Kassen Rabattverträge für den Wirkstoff abschließen und Verordnungen quasi zu den Vertragspartnern lenken dürfen. Bislang haben mehrere Kassen Open-house-Verträge für Imantinib aufgelegt, darunter die DAK, der Dienstleister GWQ und die IKK classic. Um die Rechtmäßigkeit dieser Ausschreibungen wird nun gestritten.
Bislang ist die Frage nicht höchstrichterlich geklärt, ob Originalhersteller mit einer zusätzlichen Indikation – dem sogenannten Second-Medical-Use-Patent – Rabattverträge bis zum Ablauf des letzten Patents blockieren können. Der Fall beschäftigt Arzneimittelrechtler in ganz Europa und mittlerweile auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG).
Bei Pregabalin hatte im vergangenen Jahr das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) entschieden, dass die Kassen Wirkstoffe auch mit Beschränkungen bei der Indikation vergeben dürfen. Eine „wilde Substitution“ im Versorgungsalltag sei zwar nicht auszuschließen – sie werde aber mit dem Rabattvertrag auch nicht zusätzlich gefördert: Da Ärzte im Zuge der Ausschreibung erneut über den bestehenden Patentschutz informiert würden, könnten Verstöße sogar zurückgehen.
Zuvor hatte das Gericht der KKH in einem anderen Verfahren untersagt, die Verantwortung quasi auf die Apotheker abzuwälzen: Alleine die Kasse sei in der Pflicht, etwaige Patentrechte bei ihren Rabattverträgen zu berücksichtigen: „Sie ist nicht dazu berechtigt, anstelle dessen auf eine Heilung von Fehlern zu verweisen, die sich gewissermaßen zufällig daraus ergibt, dass die Apotheker bei dem Massengeschäft der Arzneimittelabgabe überobligationsmäßig gründlich vorgehen und einen etwaigen Patentschutz von sich aus erforschen.“
Den Originalherstellern ist aber durchaus klar, dass die Entscheidung, welches Präparat verordnet beziehungsweise abgegeben wird, vor allem in der Arztpraxis und Apotheke fällt. Was nützt das beste Patent, wenn es im Alltag niemanden interessiert und beispielsweise per Wirkstoffverordnung schlichtweg übergangen werden kann? Wie bei Pregabalin ist daher auch bei Imantinib umstritten, in welchem Umfang die Generikahersteller die die Heilberufler auf die Unterschiede hinweisen müssen beziehungsweise welche Warnhinweise in der Software erscheinen sollen.
Pfizer hatte im Sommer 2015 versucht, mit harter Hand durchzugreifen. Der Konzern forderte die ABDATA auf, einen Hinweis auf den Patentschutz in die Software aufzunehmen. Ansonsten setzten sich Ärzte und Apotheker haftungsrechtlichen Risiken aus. Tatsächlich spielte Lauer-Fischer bei Winapo einen Hinweis aus, dass Lyrica nicht immer ausgetauscht werden dürfe: „Behandlung neuropathischer Schmerzen: Patentschutz für Lyrica beachten!“
Am Ende lief die Drohung aber ins Leere. Laut Patentgesetz können solche Verstöße nämlich nur geahndet werden, wenn die Patentverletzung nachweislich bekannt oder offensichtlich ist. Auch wenn Pfizer alle Hebel in Bewegung setzte, um die Problematik in die Köpfe der Apotheker zu bekommen: Diagnose oder Indikation wissen die Mitarbeiter am HV-Tisch trotz Warnhinweis in der Apotheken-EDV noch lange nicht.
Von Novartis sind solche Versuche bislang nicht bekannt. Die Generikahersteller mussten lediglich einen klarstellenden Brief an die Ärzte schicken, dass sie bei GIST nur das Original verordnen dürfen.
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