Gute Sacharbeit liegt Jens Spahn eher fern, das politische Geschäft beherrscht er dagegen. Dass er jetzt im Zusammenhang mit dem Honorar für die digitalen Impfzertifikate die Nerven verliert, lässt tief blicken. Ausgerechnet die Apotheken, zu denen er seit jeher ein problematisches Verhältnis hatte und die ihm als Minister trotzdem durch die Krise geholfen haben, könnten für ihn zum Verhängnis werden, kommentiert Patrick Hollstein.
Normalerweise sieht man Spahn nicht an, wenn er verunsichert ist. Souverän thront er seit einem Jahr fast wöchentlich auf dem Podium der Bundespressekonferenz – auch wenn er weiß, dass der nächste Skandal aufzufliegen droht oder dass er gerade dabei ist, reihenweise Prozesse gegen Journalisten zu verlieren, denen er die Berichterstattung über seinen Hauskauf verbieten lassen wollte. Nur einmal sah er angeschlagen aus, nämlich als er im Bundestag von der Opposition – viel zu sanft übrigens – zum Chaos bei den Schnelltests befragt wurde.
Seitdem jagt ein Skandal den nächsten. Jüngster Höhepunkt war der Streit um Masken, die Spahns Ministerium beschaffte hatte und die nicht nur hoffnungslos überteuert waren, sondern offensichtlich auch nach herabgesetzten Kriterien durch das BfArM geprüft wurden. Erst sorgte die geplante Verteilung an Hartz-IV-Empfänger:innen, Menschen mit Behinderung und Obdachlose für Schlagzeilen, dann wurde auch noch ein Corona-Ausbruch in einem Pflegeheim damit in Verbindung gebracht. Parallel musste sich Spahn für nach wie vor fehlenden Impfstoff und Betrügereien in dubiosen Testzentren verantworten.
Geradezu harmlos nimmt sich da die Vergütung der Apotheken für das Ausstellen der Impfzertifikate aus. Abgesehen davon, dass wegen technischer Probleme und fehlender Regelungen an eine Abrechnung noch gar nicht zu denken ist: Wie schnell sich auch ein auf den ersten Blick großzügiger Betrag von 18 Euro relativieren kann, zeigen gerade die letzten drei Tage.
Und dennoch zeigt Spahn plötzlich Nerven, kündigt in der Gesundheitsministerkonferenz hektisch an, dass er das Honorar, das er doch gerade erst beschlossen hat und von dem noch kein Cent ausgezahlt wurde, schon zum 1. Juli absenken will. Spahn steht unter Druck, das ist nicht zu übersehen. Erst in der vergangenen Woche musste er unangenehme Fragen über die Vergütung für frei gehaltene Intensivbetten und die Verteilung von FFP2-Masken über sich ergehen lassen.
Abgesehen davon, dass nun abermals die Apotheken als Profiteure von Spahns laxer Ausgabenpolitik an den Pranger gestellt werden: Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass für Spahn ausgerechnet die Apotheken zum Stolperstein werden könnten – und zwar ohne deren eigenes Zutun. Zwar ist es typisch für ihn, dass er lieber über Heilberufler:innen spricht statt mit ihnen. Aber Apotheker:innen sind wohl der Berufsstand im Gesundheitswesen, zu dem er – auch wegen seiner Lobby-Vergangenheit – wohl die geringste Bindung aufgebaut hat. Seit jeher waren sie ihm suspekt, hat er sie als ewiggestrige Dauernörgler gemieden oder an der Nase herumgeführt. Und sicher hat er sie unterschätzt – auch wenn sie ihm in der Corona-Krise den Rücken freigehalten haben.
Spahns Problem: Sein altes Mantra, dass man hinterher immer schlauer ist und dass Spähne nun mal dort fallen, wo gehobelt wird, trägt bald nicht mehr. Die Debatte um die Vergütung ist nur ein Ablenkungsmanöver, um das Chaos zu verschleiern, das sein Ministerium da einmal mehr angerichtet hat. Während die Ärzt:innen einfach nicht mitmachen, haben die Apotheken den Aufwand – und dank Spahn nun auch noch erneut den Ärger.
All das fügt sich nahtlos ins Bild: Von der völlig überteuerten Maskenabgabe ab Dezember über die löchrige Regulierung der Testzentren bis zum Chaos bei den Impfzertifikaten – stets war dasselbe Muster zu erkennen: Spahn verordnet von oben, verkündet, ohne die lästigen Details geklärt zu haben – mutmaßlich mit der Absicht, sich weiter als Macher zu profilieren – und die Apotheken müssen das Chaos ausbaden. Und zwar in doppelter Hinsicht: Sie müssen improvisieren, überbrücken und in Vorleistung gehen, während in der Öffentlichkeit das Bild vom überspendablen Minister gezeichnet wurde, der der Branche Geldgeschenke zuschustert.
Das Chaos, das die Apotheken managen müssen, hat nicht das Zeug, Spahns öffentliche Demontage voranzutreiben. Dazu interessiert sich die breite Öffentlichkeit zu wenig für Belange der Branche. Es ist – und das ist das große Paradoxon – eher der Eindruck vom Minister, dem das Geld locker sitzt und der ausgerechnet die Apotheken vermeintlich über Gebühr entlohnt, mit denen er tatsächlich wenig am Hut hat und die für ihn nur Mittel zum Zweck sind. Denn in Kombination mit Spahns organisatorischem Scheitern bei vielen seiner Initiativen verfestigt sich das Bild von einem überforderten Minister, der nicht mit Geld umgehen kann und noch dazu eine Handvoll Halb-Skandale und Halb-Affären beiseite wischen muss.
Mittlerweile geht fast niemand mehr davon aus, dass Spahn – selbst im Falle eines CDU-Sieges im September – weiter Gesundheitsminister bleibt – und sein Umgang mit den Apotheken hat daran einen wesentlichen Anteil, wenn auch nicht so, wie es aus Apothekensicht eigentlich sein müsste. Für die vielen Apotheker:innen, die Spahn gerne loswerden möchten, bewahrheitet sich damit eine Binsenweisheit: Dass Schlechtes etwas Gutes bewirken kann.
APOTHEKE ADHOC Debatte