Gesundheitsminister Jens Spahn wurde von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki für sein Stehvermögen gelobt, nachdem er sich im Bundestag über eine Stunde den Fragen der Abgeordneten gestellt hatte. Es klang ein bisschen wie Trost. Die Befragung hat gezeigt: Der Minister ist in die Defensive geraten, kommentiert Alexander Müller.
Spahn sah blass aus im Bundestag, die letzten Monate haben erkennbar an seinen Kräften gezehrt. Er sprach das auch aus, wirkte in seinen einleitenden Worten geradezu verzweifelt. Das Virus wolle ja auch nur leben, das mache seine Bekämpfung so schwer. Und ja, alle seien pandemiemüde und gereizt. So reagierte der Minister auch selbst bei mancher Frage aus dem Parlament und verwies schmallippig auf die Zuständigkeit der Bundesländer oder die Regierungsbeteiligung der Grünen.
Plötzlich ist Spahn in der Opferrolle. Die „Bild“ berichtet schon am Morgen vom Kabinettsfrühstück der Union, bei dem Kanzlerin Angela Merkel ihn angeblich erneut auflaufen ließ. Keine Vorgabe zur Teststrategie. Es sei nicht fair, wie Merkel Spahn behandele, wird ein Unions-Minister zitiert, allerdings anonym. Spahn als Opfer der Kanzlerin, die sich wegen älterer Geschichten an ihm rächen will. Vielleicht hat Merkel aber auch einfach genug gesehen und vertraut jetzt anderen. Davor gab es Spahn als Opfer der verfehlten EU-Impfstoffpolitik. Und quasi permanent ist er Opfer der Medien, die seinen mal mehr mal weniger privaten Machenschaften nachstellen.
Manchmal ist diese Rolle für Politiker:innen ganz dankbar, weil sich Verantwortung abwälzen lässt und bei der Bevölkerung aus Mitleid mitunter Sympathie wird – oder zumindest damit verwechselt wird. Spahns Umfragewerte sind nach wie vor gut, aber gerade in der Krise kann sich das sehr schnell ändern. Vor allem, weil Spahn nicht mehr liefert.
Natürlich kann man ihm das Desaster bei der Impfstoffbeschaffung nicht allein ankreiden, aber genauso wenig kann man ihn komplett aus der Verantwortung lassen. Die Verteilung der FFP2-Masken mit nachträglicher Preissenkung war bestenfalls ungeschickt. In der Branche hat er weiter Vertrauen verspielt, in der Öffentlichkeit steht er für die unter dem Strich immer noch hohen Ausgaben als Lobby-Politiker da. Und jetzt wurde er mit seiner Teststrategie im Kabinett geradezu gedemütigt.
Unwahrscheinlich, dass Spahn diese Opferrolle behagt oder dass er oder seine Mitstreiter:innen diese Lesart gar selbst forcieren. Das würde nicht zum Machtmenschen Spahn passen, der lieber Macher ist und als Netzwerker eher in seinem persönlichen Umfeld auffällt. Es entsteht eher der Eindruck, dass seine politischen Gegner in Berlin jetzt eine Schwächephase beim Politkarrieristen Spahn wittern und eine Gelegenheit nutzen wollen. Spahn ist angeschlagen – und das spürt man mittlerweile auch.
Ein Ausdruck dieser Überforderung ist sein Umgang mit den Medien. Mitten in der Pandemie liefert er sich mit quasi allen großen Medienhäusern (und dieser Redaktion) Scharmützel um die Nennung des Kaufpreises seiner Villa – und ist dem Vernehmen nach dabei sogar persönlich engagiert. Das ist nicht besonders staatsmännisch.
Ausgerechnet heute berichtet der Tagesspiegel über die nächste Peinlichkeit in diesem Zusammenhang: Spahns Rechtsanwälte haben beim Amtsgericht nachgeforscht, welche Journalisten beim Grundbuchamt nachgefragt hätten, selbst die Anfragen will Spahn sehen. Das offenbart zum wiederholten Mal seinen problematischen Umgang mit Öffentlichkeit und Pressefreiheit – kurz nach seinem desaströsen Google-Deal. Es hat den Anschein, als ob vor allem der Minister pandemiemüde ist. Nur leider kann sich das Land das nicht leisten.
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