Gröhe probt den Ernstfall: Panik und Tote Lothar Klein, 04.05.2017 08:13 Uhr
Normalerweise proben Verteidigungsminister den Ernstfall. Auf dem Nato-Gipfel werden schon mal Panzer im symbolischen Sandkasten hin und her geschoben, um die Einsatzfähigkeit der Armeen zu simulieren. Auch Banken und Börsen üben, wie sie mit internationalen Finanzkrisen umgehen. Jetzt sind erstmals die Gesundheitsminister an der Reihe: Beim G20-Gesundheitsministertreffen in Berlin steht Krisenmanagement auf dem Stundenplan: Vier Stunden werden die Minister in einen Raum gesperrt, um den Ausbruch einer tödlichen Epidemie unter Kontrolle zu bringen.
Das Krisenszenario soll möglichst realitätsnah ausfallen, wenn Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) seine Ministerkollegen in einen abgelegenen Raum des Axica Kongress- und Tagungszentrums gleich neben dem Brandenburger Tor führt. Nur einen Mitarbeiter darf jeder Minister mitnehmen. Auf den Tischen flimmern Monitore, stehen Telefone bereit. Für vier Stunden sind die Minister mit ihren Mitarbeitern und der Epidemie unter sich – hermetisch abgeriegelt von der Außenwelt.
Simuliert wird der Ausbruch einer tödlichen und höchst ansteckenden Epidemie nach dem Muster der Ebola-Krise in Westafrika in einem imaginären Entwicklungsland. Was ist zu tun? Minütlich flattern immer bedrohlichere Meldungen auf die Tische. Muss der Flugverkehr ausgesetzt werde? Muss die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeschaltet werde? Welche nationalen Behörden und Hilfsorganisationen sind zuständig? Solche Fragen müssen rasch entschieden werden.
Was geschieht auf den Flughäfen in Frankfurt, London, Paris, New York oder Moskau? Um die Realität möglichst echt abzubilden, werden Pressemeldungen hineingereicht. Die Krankheit breitet sich rasend schnell aus. Es gibt erste Opfer. Inzwischen sind Facebook und andere Social-Media-Dienste auf die Epidemie eingestiegen. Die Meldungen überschlagen sich. Es gibt auch prominente Opfer – Schauspieler oder Sportler beispielsweise.
Müssen die Regierungschefs eingeschaltet werden? Wie steht es mit der Polizei oder sogar dem Militär? Die G20-Gesundheitsminsiter wollen lernen – auch aus den Erfahrungen der Vergangenheit. SARS, Ebola oder die Schweinegrippe lauten die Stichworte für die Pandemien.
Derzeit stehen knapp 40 verschiedene Viren im Verdacht, Pandemie-Potenzial zu haben. Ihnen gemeinsam ist, dass sie derzeit vor allem Tiere befallen, jedoch auch auf den Menschen übergehen und sich dann bedrohlich weiterentwickeln könnten. Bricht eine Pandemie aus, kennt die Weltöffentlichkeit oft über Wochen kaum ein anderes Thema.
Wie kann die Politik die um sich greifende Panik in der Bevölkerung unter Kontrolle halten? Pandemien wie die Spanische Grippe 1918 oder Seuchenausbrüche wie der von Ebola 2014 in Westafrika sind nicht nur ein gesundheitliches Problem: Sie greifen die Gesellschaft an, ihre Sicherheit, den Wohlstand. Vor einer schnell um sich greifenden, schweren Grippe-Pandemie wären selbst Industrienationen nicht gefeit: Busse und Bahnen würden nicht mehr fahren, Kindergärten, Schulen und Geschäfte müssten schließen. Wie lange kann noch die medizinische Versorgung Aufrecht erhalten werden?
Und auch der finanzielle Schaden könnte in die Milliarden gehen. Lars Schaade, Vizepräsident des Robert Koch-Instituts (RKI), warnte bereits: „Zum Beispiel hat mal die Weltbank berechnet, dass eine Pandemie durch ein Influenza-Virus bis zu 680 Milliarden Dollar kosten könnte, wenn man also alle Kosten zusammenzählt, die dadurch entstehen. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel auch mit anderen Erregern. SARS zum Beispiel war eher ein relativ kleines Geschehen mit nur 8096 Fällen und etwa 770 Todesfällen. Dennoch hat SARS nach Schätzung der WHO bis zu 30 Milliarden Dollar auch damals gekostet.“
Bei der Ebola-Epidemie lief in der internationalen Koordination nicht alles glatt. Während man der WHO im Fall der Schweinegrippe Panikmache vorwarf, war ihre Reaktion im Fall des verheerenden Ebola-Ausbruchs in Westafrika eindeutig zu langsam. 2014 erkrankten mehr als 28.000 Menschen, von denen rund 11.000 starben. Obwohl die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen verzweifelt um Hilfe rief, hat die Internationale Gemeinschaft erst spät reagiert. Das soll sich nicht wiederholen.
Die Bilder aus Westafrika haben aber immerhin dafür gesorgt, das Thema Weltgesundheit ganz oben auf die politischen Agenda zu setzen. Die Ebola-Katastrophe hat die Bundesregierung veranlasst, die Zeit ihres G20-Vorsitzes für die Pandemie-Bekämpfung zu nutzen.