Solidarsystem gerät in die Krise

Overwiening: Mehr Prävention in der Apotheke Lilith Teusch, 11.09.2024 14:19 Uhr

Angesichts der aufziehenden Finanzierungsprobleme in der GKV fordern Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening Bürokratieabbau und die digitale Transformation. Fotocredit: Pharma Deutschland / Swea Pietschmann
Berlin - 

Das deutsche Gesundheitswesen steuert auf eine Finanzkrise zu – darin sind sich Ärzte, Industrie, Apotheken und Krankenkassen einig. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, braucht es mehr Effizienz, eine bessere Nutzung der vorhandenen Kompetenzen und einen stärkeren Fokus auf Prävention und Digitalisierung: „Alles, was wir im Gesundheitswesen tun, wird nur als Kostenfaktor gesehen, ohne den Nutzen gegenüberzustellen“, sagte Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf der Mitgliederversammlung von Pharma Deutschland.

Früher hätte ein Magengeschwür immer operiert werden müssen, heute verhindern PPI solche Eingriffe, nannte Overwiening ein Beispiel. Dennoch werde dann beklagt, dass viele PPI verschrieben würden. Arzneimittelkosten sollten nicht nur als Kosten, sondern auch als Innovationen gesehen werden. Dafür müsse das Thema Erstattung endlich in den Vordergrund rücken, so auch Sebastian Wachtarz von AbbVie.

Bürokratie abbauen

Im Gesundheitswesen herrsche viel Misstrauen. Dieses Misstrauen führe zu einer Überregulierungswut, die eine enorme Bürokratie nach sich ziehe. Diese Bürokratie binde so viele Ressourcen, dass sich die Leistungserbringer nicht mehr auf ihre Kernaufgaben konzentrieren könnten. „Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, was wir für die Bevölkerung tun können“, so Overwiening. Zudem könnten Apotheken dann mehr tun, um Arztpraxen zu entlasten, etwa bei Lieferengpässen. Die Ärzteschaft sei grundsätzlich offen dafür, sagte Moritz Völker, Vorsitzender der Jungen Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund, man müsse aber differenzieren, was genau die Aufgaben seien.

Digitalisierung werde oft mit dem Arzneimittelversand gleichgesetzt, und wer sich dagegen ausspreche, gelte als rückwärtsgewandt, beklagt Overwiening. „Das ist falsch. Die Digitalisierung in den Apotheken wird massiv unterstützt und vorangetrieben.“ Insbesondere im Zusammenhang mit dem E-Rezept und auch der elektronischen Patientenakte (ePA) gegenüber sei man optimistisch eingestellt. Die Apotheken hätten einen niederschwelligen Zugang und könnten den Menschen helfen, die ePA zu verstehen. Beim E-Rezept sei dies bereits Realität. Oft wüssten die Patienten noch nicht, wie das funktioniere. Diese Transformation müsse weitergehen.

Effizienz steigern und Kompetenzen nutzen

Es müsse endlich klar und ehrlich über die Krise in der Gesundheitsversorgung gesprochen werden, in die Deutschland schlittern werde, so Völker. Das Finanzierungsverhältnis – früher 6 zu 1, heute 2 zu 1 – werde sich weiter verschlechtern. Darauf sei das System nicht vorbereitet, warnte Völker. Langfristig würden die Menschen das Solidarsystem nicht mehr mittragen wollen.

Dabei gäbe es Einsparungspotenziale. Große Hoffnungen hatte Völker auf die Krankenhausreform gesetzt. Er befürworte sogar Krankenhausschließungen, ist aber enttäuscht, dass es nicht dazu kommt. Er bezweifelt, dass die Reform tatsächlich zu einer Effizienzsteigerung führen wird.

„Ich glaube, wir müssen früher ansetzen und über Gesundheitskompetenz sprechen. Prävention in der Apotheke ist unglaublich wichtig, damit wir nicht so früh so viele chronisch Kranke im System haben – das müsste nicht sein“, erklärt Overwiening.

Zwangsfusionen bei den Kassen

Nachhaltige Finanzierungsmodelle müssten gemeinsam mit Leistungserbringern, Politik und Kassen datenbasiert entwickelt werden, forderte Dr. Richard Ammer, Geschäftsführer von Medice. Auch neue Finanzierungsquellen wie eine Zuckersteuer müssten erschlossen werden.

Auf Deutschland komme ein „Gewitter“ zu, und das Solidarsystem könne zusammenbrechen, warnte Dr. Ute Wiedemann, Vorstandsmitglied der DAK-Gesundheit. Im aktuellen Haushalt werde kaum auf Gesundheitsthemen eingegangen, obwohl dies im Koalitionsvertrag festgeschrieben sei. Den Kassen fehlten die Mittel, um die Beiträge stabil zu halten. Ohne eine ausreichende Finanzierung der Krankenkassen könnten auch die Leistungserbringer nicht mehr finanziert werden.

„Die Krise hat die gesetzlichen Krankenkassen bereits erreicht. Im Jahr 2025 könnte es zu ersten Zwangsfusionen bei den Kassen kommen“, warnt Wiedemann.