Overwiening fordert VOASG 2.0 Patrick Hollstein, 01.12.2022 16:27 Uhr
Eine deutliche Stärkung der Apotheken vor Ort fordert die Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL), Gabriele Regina Overwiening. Bei der Kammerversammlung deutlich, wie sehr das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) die öffentlichen Apotheken belastet. Aus der Politik kommen erste positive Signale.
„Die hohe Inflation, explodierende Energiekosten und steigende Personalkosten auf der einen Seite und auf der anderen Seite eine Erhöhung des Kassenabschlages um 28 Cent je Arzneimittel: Das nimmt sehr vielen Apotheken die Luft zum Atmen.“ Die Stimmung im Berufsstand, der in fast drei Jahren Pandemie gezeigt habe, wie unverzichtbar er für die Gesundheitsversorgung ist, sei unter den Nullpunkt gesunken: „Dass in den kommenden Wochen und Monaten weitere Apotheken schließen werden, die für die Versorgung der Menschen in den Quartieren gebraucht werden, geht auf die Kappe der Ampel-Koalition und ihres einseitigen und ungerechten Spargesetzes“, so die Kammerpräsidentin.
Mit Blick auf die im kommenden Jahr anstehenden weiteren Gesetzesvorhaben im Gesundheitswesen forderte Overwiening: „Die nächsten Gesetze müssen den Charakter von Apothekenstärkungsgesetzen haben.“ Als konkrete Forderungen benannte sie unter anderem eine signifikante Dynamisierung des Honorars, ein Verbot von „Null-Retaxierungen“ und eine Abschaffung des Bürokratiemonsters der apothekerlichen Präqualifizierung. Ganz oben auf der Agenda müsse außerdem stehen, die Arzneimittellieferengpässe zu bekämpfen und den mit den Engpässen verbundenen enormen personellen Mehraufwand in der Apotheke zu vergüten.
Heidenblut verspricht Initiative
Der SPD-Gesundheitsexperte Dirk Heidenblut schickte per Facebook positive Signale: „Wir haben die Apotheker:innen,
die eine zentrale Säule unseres Gesundheitssystems sind, bisher in den Gesetzen belastet, statt sie zu entlasten. Das ist falsch und es ist jetzt dringend an der Zeit für das angekündigte Stärkungsgesetz. Ganz wichtig auch, dass die sogenannte Nullretaxation fällt.“
Apothekenzahl sinkt weiter
Rückläufig bleibt, und dies bereits im 18. Jahr in Folge, die Zahl der Apotheken im Landesteil. Sie ist von 1797 zu Jahresbeginn auf nur noch 1768 gesunken. Im Jahr 2002 gab es noch 500 Apotheken mehr in Westfalen-Lippe. Weil 473 Apotheken als Filialbetriebe geführt werden, „stecken“ hinter der Gesamtzahl nur noch 1297 Inhaberinnen und Inhaber. „Das ist der niedrigste Wert seit 55 Jahren“, so Overwiening. Weitere Schließungen sind bereits bis zum Jahresende angekündigt.
Kammer streicht PTA-Umlage
Die Delegierten der Kammerversammlung befassten sich auch mit dem Haushaltsplan für das Jahr 2023. Der Kammerhaushalt wird im neuen Jahr ungeachtet der hohen Inflationsrate nur ganz gering ansteigen: „Wir planen mit einem Haushalt in Höhe von 8,223 Millionen Euro. Das entspricht einem Zuwachs von 1,83 Prozent (147.500 Euro). Auf der Ausgabenseite steht eine Steigerung von 2,06 Prozent (162.500 Euro), bei einer geplanten Rücklagenzuführung von 170.000 Euro. „Wenn man die Mehrausgaben durch erhöhte ABDA-Beiträge in Höhe von 100.300 Euro sowie den um 105.000 Euro ansteigenden Finanzierungsanteil für unsere Pharmazie-Stiftungsprofessur herausrechnet, dann würden die Ausgaben im Jahr 2023 sogar um 0,5 Prozent zurückgefahren“, berichtete Hauptgeschäftsführer Dr. Andreas Walter.
Alle Apothekeninhaber:innen werden 2023 um durchschnittlich 153 Euro Zusatzbeitrag entlastet. Die Kammer wird in zwei Quartalen darauf verzichten, die Sonderumlage zur PTA-Ausbildungsförderung zu erheben. „Hier verfügen wir über eine auskömmliche Rücklage, die eine solche Entlastung ermöglicht“, erläutert Walter.
Trippelschritte beim E-Rezept
Einen Statusbericht über den Stand der Einführung des E-Rezeptes gab Michael Schmitz, Geschäftsführer Kommunikation, IT und Neue Medien. 20 Jahre nach der im September 2002 von der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt getätigten Aussage „das E-Rezept funktioniert“ sei man im Grunde nur Trippelschritte vorangekommen. Obwohl seit September alle über 100.000 medizinischen Einrichtungen gesetzlich verpflichtet seien, elektronisch zu verordnen, sind dazu aktuell weniger als 2.000 Praxen und Krankenhäuser in der Lage: „Derzeit werden bundesweit im Schnitt gerade einmal 7000 bis 8000 E-Rezepte pro Tag ausgestellt.“
Dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter im Schneckentempo vorangehe, dürfe man aber keineswegs den Apotheken anlasten: „Wir können mit großem Stolz feststellen, dass in Deutschland 75 Prozent der Apotheken E-Rezept-bereit sind. In der Modellregion Westfalen-Lippe liegt die Quote sogar bei fast 90 Prozent. Die Apotheken haben viel Geld in technische Anwendungen investiert, die jetzt nicht abgerufen werden“, so Schmitz. „Wenn wir mit der Einführung entscheidend vorankommen wollen, dann müssen schleunigst mehr E-Rezepte in die Apotheke kommen.“
Dafür bedürfe es zweierlei: Eine deutlich höhere Zahl teilnehmender Arztpraxen und des gemeinsam mit der Ärzteschaft geforderten Transports von E-Rezepten über die Krankenversichertenkarte: „Hier bremst gerade der Datenschutz in Deutschland einmal mehr den digitalen Fortschritt aus. Wir müssen feststellen, dass Länder wie Albanien, Costa Rica oder der Kongo, mit den wir uns sonst eher selten vergleichen, hier technisch deutlich weiter sind als wir.“