Gabriele Regina Overwiening will Abda-Präsidentin werden – die erste Frau an der Spitze der deutschen Apothekerschaft. Bei der Politik kommt sie gut an, bei der Basis in ihrem Kammerbezirk sowieso. Die entscheidende Frage ist, ob ihr die anderen Kammerpräsidenten und Verbandschef die Chance geben, den Beruf mit einem neuen Stil aus der politischen Sackgasse zu führen.
Overwiening ist seit 2009 Kammerpräsidentin in Westfalen-Lippe (AKWL), davor war sie vier Jahre lang Stellvertreterin von Hans-Günter Friese, der das Amt seit 1981 inne hatte und auch Abda-Präsident war. Mit knapp 7600 Mitgliedern und 1900 Apotheken gehört Westfalen-Lippe zu den größeren Kammerbezirken – und zu den wenigen, in denen man mit Standespolitik mehr verbindet als nur das Zahlen von Beiträgen: Eine engagierte Kammerversammlung samt aktiver Opposition, eine professionelle Geschäftsstelle und zahlreiche Aktivitäten rund um die Pharmazie sind längst nicht überall selbstverständlich.
Doch auch in der Gesundheitspolitik ist Overwiening über die Grenzen von NRW hinaus bekannt. Sie versteht es zu netzwerken, wird geschätzt, schon alleine weil sie als verbindlich gilt – es soll schon vorgekommen sein, dass führende Politiker sie um Rat gebeten haben, weil sie auf Bundesebene nicht weiter wussten. Einen sehr guten und vor allem kurzen Draht hat sie zu Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), man telefoniert und schreibt sich SMS, das könnte als Abda-Präsidentin nur nützlich sein.
Zugute kommt ihr, dass Spahn seinen Wahlkreis in ihrem Sprengel hat, genauso wie Maria Klein-Schmeink (Grüne) oder früher Daniel Bahr (FDP). Entsprechend gut besucht ist seit Jahren der Westfälisch-Lippische Apothekertag: Spahn & Co. traf man als Apotheker häufiger in Münster als beim Deutschen Apothekertag in München oder Düsseldorf. Auch in ihrer Apotheke empfängt Overwiening regelmäßig Politiker – selbst solche, die beruflich bei DocMorris arbeiten.
Berührungsängste hat Overwiening nicht. In den eigenen Reihen muss sie sich immer wieder mit den Basisapothekern auseinander setzen, auf politischer Ebene eine Debatte um die Notdienstverteilung im Land und die Selbstdispensation aushalten, die die ehemalige Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) immer wieder aufflammen ließ. Zuletzt scherte der Hausärzteverband aus und ließ sich von DocMorris vor den Karren spannen. Rückschläge gehören zum Geschäft.
Auch Overwiening selbst ist für manche Kollegen schon gelegentlich über das Ziel hinaus geschossen. 2017 sprach sie öffentlich über die Umverteilung des Apothekenhonorars von großen zu kleinen Apotheken – bei der Abda gab es dazu keinerlei Beschlusslage. Ohne Mut, eigene Ideen, Denkanstöße und kontroverse Debatten werde man die eigene Zukunft nicht gestalten können, begründete sie damals ihren Alleingang.
Das gilt auch für sie selbst: Dass sie das Zeug hat, auch auf Bundesebene eine Funktion zu übernehmen, wusste sie selbst bereits 2012. Damals wollte sie Präsidentin der Bundesapothekerkammer (BAK) werden, doch am Ende ging der Posten an Dr. Andreas Kiefer. Für sie kein Grund, es jetzt nicht noch einmal zu versuchen: Auch Spahn hat sich bekanntlich schon einmal um den CDU-Vorsitz beworben, geschadet hat es ihm nicht. Overwiening weiß, dass sie bei machen Kollegen als stur oder schwierig gilt. Dass nicht jeder sie an der Spitze der Abda sehen will. Gerade deswegen bewirbt sie sich.
Sie tritt an mit dem Versprechen, einen neuen Kurs in der Standespolitik einzuschlagen. Dass sie als erste Kandidatin aus der Deckung geht, darf ihr schon einmal hoch angerechnet werden. Seit Friedemann Schmidt kurz vor Weihnachten – mitten im Gesetzgebungsverfahren zum VOASG – seinen Rückzug erklärt hat, ist keinerlei Bewegung zustande gekommen. Woanders hätte man ihn erlöst, doch bei den Apothekern traut sich derzeit niemand, den politischen Scherbenhaufen, den Schmidt & Co. hinterlassen, zusammenzukehren.
Auch Overwiening wird sich lange überlegt haben, wann sie ihre Kandidatur bekannt macht. Auch sie wird keine Lust verspürt haben, ad interim einzuspringen und dann bei nächster Gelegenheit ersetzt zu werden. Ohnehin sollte man in ihr keine „Feuerwehrfrau“ sehen, die von jetzt auf gleich den Schalter umlegen kann. Genau wie die neue Kammerpräsidentin in Berlin, Dr. Kerstin Kemmritz, könnte sie das Amt mit Sympathie gewinnen. Bis die alten Strukturen tatsächlich aufgebrochen sind, muss wohl von Vorschusslorbeeren ausgegangen werden.
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