Der Markt für Orphan Drugs boomt: 9 von 31 im Jahr 2017 neu auf den Markt gekommenen Arzneimittel waren Präparate gegen seltene Krankheiten. Kritiker werfen den Unternehmen vor, wegen der niedrigeren Zulassungshürden und der höheren Preise den Status über Gebühr auszureizen. Dem will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jetzt mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) einen Riegel vorschieben.
Künftig sollen bei der Berechnung der 50-Millionen-Euro-Schwelle auch Umsätze nicht nur von Verordnungen durch niedergelassene Ärzte, sondern auch der Einsatz zum Beispiel im Rahmen einer stationären Behandlung im Krankenhaus zu berücksichtigen sein. Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens könnten auch außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung angewandt werden und in relevantem Umfang Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung verursachen, heißt es im Referentenentwurf. Außerdem verschärft das GSAV die Mitwirkungspflichten des Herstellers bei der Prüfung der Umsatzschwelle: Auf Verlangen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) muss das Unternehmen auch die erzielten Umsätze des Arzneimittels außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung mitteilen.
In bestimmten Fällen können derzeit Arzneimittel, die für die Versorgung von Patienten dringend benötigt werden, eine besondere arzneimittelrechtliche Zulassung oder Genehmigung für das Inverkehrbringen erhalten, auch wenn noch keine vollständigen klinischen Daten zur Beurteilung der Wirksamkeit vorliegen oder die vorhandene Evidenzlage wegen der Seltenheit einer Erkrankung nur sehr gering ist. Dies betrifft vor allem Orphan Drugs zur Behandlung von seltenen Leiden.
Um diese Arzneimittel Kassenpatienten zügig zur Verfügung stellen zu können und gleichzeitig eine bessere Datenbasis zur Bewertung des Zusatznutzens zu erhalten, kann laut Gesetzentwurf der G-BA künftig verlangen, dass anwendungsbegleitende Datenerhebungen oder Auswertungen zum Zweck der Nutzenbewertung durchgeführt werden. Für die Durchführung ist der Hersteller verantwortlich, er soll auch die Kosten dafür tragen.
Der G-BA soll außerdem ermächtigt werden, in bestimmten Fällen bei noch ausstehenden Daten zum Zeitpunkt der Nutzenbewertung eine anwendungsbegleitende Datenerhebung verpflichtend für die verordnenden Fachärzte und zugelassenen Krankenhäuser zu beschließen. Dafür muss der Hersteller eine angemessene Entschädigung für teilnehmende Ärzte oder Krankenhäuser sowie Leistungen, die ausschließlich aufgrund der anwendungsbegleitenden Datenerhebungen erbracht werden, übernehmen.
Die Befugnis zur Verordnung von solchen Orphan Drugs kann laut Entwurf zudem auf solche Ärzte oder Krankenhäuser beschränkt werden, die an der anwendungsbegleitenden Datenerhebung mitwirken. Eine generelle Beschränkung der Verordnungsfähigkeit dieser Arzneimittel auf Einrichtungen oder Zentren ist damit nicht verbunden. Jeder Facharzt, der an der Datenerhebung teilnimmt, kann das Arzneimittel verordnen. „Die Verpflichtung zur Teilnahme an der Datenerhebung ist erforderlich, um bei den häufig geringen Patientenzahlen, die mit diesen Arzneimitteln versorgt werden, eine umfassende Datengrundlage für eine erneute Bewertung dieser Arzneimittel zu erhalten“, lautet die Begründung. Die Art der Datenerhebung legt der G-BA fest. Jährlich ist vom G-BA zu überprüfen, ob auf Grund der gewonnenen Erkenntnislage ein neuer Beschluss über die Nutzenbewertung getroffen werden muss oder der bisherige Beschluss anzupassen ist. Gegebenenfalls müssen auch die Preise für Orphan Drugs abgesenkt werden.
Laut AOK-Bundesverband betrug der Umsatz je Verordnung eines Orphan Drug 2017 im Schnitt 3096 Euro, das 50-Fache gegenüber der durchschnittlichen Verordnung im Gesamtmarkt. Mittlerweile wird jedes dritte neue Arzneimittel als Orphan Drug auf den deutschen Markt gebracht. Im Jahr 2017 erzielten alle Arzneimittel, die jemals als Orphan Drug zugelassen wurden, einen Umsatz von 3,3 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von rund 8 Prozent des GKV-Gesamtumsatzes. In den letzten zehn Jahren hat sich dieser Umsatzanteil verdreifacht. Für die Zukunft wird prognostiziert, dass 2024 weltweit sogar rund 20 Prozent des Umsatzes auf Orphan Drugs entfallen könnten. In Deutschland haben Orphan Drugs eine weitere Exklusivstellung bei der frühen Nutzenbewertung, da bis zu einem jährlichen Umsatz von 50 Millionen Euro generell ein Zusatznutzen unterstellt wird.
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