Krebszweitmeinung.de

Tumor-Boards für Krebspatienten

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Berlin -

Keine Krankenkasse trägt die Kosten für ein 270.000 Euro teures, individuell zusammengestelltes „Cancer Panel“. Aber an deutschen Kliniken gibt es Tumor-Boards, die routinemäßig bereits Vergleichbares leisten. Das Online-Portal Krebszweitmeinung.de macht diese Leistung auch Patienten zugänglich, die nicht in diesen Kliniken behandelt werden. Das kostet 379 Euro – und wird von Krankenkassen getragen. 

Das Portal entstand 2011 aus einem von Felix Burda initiiertem Projekt. Internist Dr. Udo Beckenbauer übernahm als Vorsitzender der Health Management Online (HMO) AG den Aufbau des Portals. „Häuser und Autos würden wie nie ohne vorheriges Vergleichen kaufen. Auch bei einer so lebenseinschneidenden Maßnahme wie einer Krebstherapie sollten wir uns auch eingehend beraten lassen – und zur Absicherung eine zweite Meinung einholen“, erklärt HMO-Sprecher Roy von der Locht.

„Das Niveau der deutschen Krebsforschung ist sehr hoch. Die HMO erhält auch Anfragen von Ärzten anderer Kontinente“, sagt er. Doch es gebe weiterhin Luft nach oben, denn es gebe ein Qualitätsgefälle innerhalb Deutschlands, so von der Locht. Allen Krebspatienten in Deutschland solle daher mit dem Portal unabhängig von ihrem Standort eine hochwertige Beratung zur Verfügung stehen – indem sie ihre Untersuchungsunterlagen digital einreichten.

„Zweitmeinung Krebs“ arbeitet mit 16 deutschen Tumor-Boards zusammen, die vor allem an Universitätskliniken und in Krebszentren bereits bestehen: Die Ärzte treffen sich mindestens einmal wöchentlich für eine bis zwei Stunden, um über ihre Patienten vor Ort zu beraten. An diese Boards werden die medizinischen Dokumente weitergeleitet.

Im Durchschnitt besprechen die Expertengruppen laut von der Locht fünf bis sechs Fälle pro Zusammenkunft. „In den Panels werden die Anfragen eingeschoben, die über unser Portal eingegangen sind“, erklärt er. Den interdisziplinären Expertenteams gehören etwa fünf bis acht Mediziner an; Onkologen, Radiologen und je nach Erkrankung auch etwa Gynäkologen oder Urologen.

Nach Einreichung der vollständigen Unterlagen könne dem Patienten etwa zwei Wochen später eine Einschätzung mitgeteilt werden, sagt von der Locht. Dann helfe ein persönlicher Case Manager dem Patienten weiter, indem er den Befund erkläre. Alle Case Manager des Portals haben laut von der Locht eine medizinische Ausbildung durchlaufen.

Seit dem Start des Zweitmeinungsportals konnten zwischen 1200 und 1500 Krankheitsfälle besprochen werden, schätzt er ab. In etwa 40 Prozent der Fälle wich die Zweitmeinung vom ersten Therapievorschlag ab, in 20 Prozent war diese Abweichung erheblich. „Oft kommt es vor, dass bestimmte Untersuchungen nicht gemacht wurden, obwohl sie wichtig für eine Therapieempfehlung wären“, berichtet von der Locht.

In 98 Prozent der Abweichungsfälle richte sich der behandelnde Arzt nach der Empfehlung des Boards, sagt von der Locht. Gerade Ärzten in ländlichen Gebieten sei bewusst, dass sie nicht in dem Maße auf dem neuesten Stand der Forschung sein können wie Ärzte an Spezial- oder Universitätskliniken, die häufig Konferenzen besuchten. „Die Tumor-Boards sollen durch die Therapievorschläge keine Patientenakquise betreiben. Die Behandlung verbleibt beim Arzt des Patienten“, betont er.

„Über die Hälfte unserer Patienten fordern die Zweitmeinung, wenn der Krebs nach einer ersten Behandlung zurückkehrt – sie brauchen Sicherheit, um die nächste Therapie durchzustehen“, erklärt von der Locht. Und darum gehe es in erster Linie; dem Patienten mehr Vertrauen in die Behandlung zu geben, damit sie diese besser durchstehen.

Sowohl für die Mediziner als auch für die Patienten biete das Zweitmeinungsportal Vorteile: Für beide verringere es den Aufwand. „Direkt eines der Boards anzuschreiben, wäre schwierig, weil das entsprechende Team die Krebsart vielleicht gar nicht bearbeiten kann“, erklärt von der Locht. Das Portal dagegen kombiniere die Krebserkrankung mit der passenden Expertengruppe.

Seit September 2013 habe das Bundesversicherungsamt (BVA) den Service als freiwillige Satzungsleistung zugelassen. „Bisher werden die Kosten der Zweitmeinung für jeden zehnten Versicherten übernommen“, sagt von der Locht. Zahlreiche Betriebskrankenkassen tragen die Leistung; die vollständige Liste ist auf der Webseite Krebszweitmeinung.de einzusehen. „In Einzelfällen erklären sich auch andere Krankenversicherungen dazu bereit, die 379 Euro zu übernehmen – ob privat oder gesetzlich“, sagt von der Locht.

„Durch die Weitergabe der Patientenakte entfallen die Kosten einer Doppeluntersuchung“, sagt von der Locht. Das sei für die Krankenkassen und den Patienten eine Erleichterung. Zugleich würden mit der Zweitmeinung auch nicht sinnvolle Therapien erkannt. Daher wiesen Krankenkassen Krebserkrankte sogar auf die Zweitmeinung hin, ergänzt er.

Etwa 500.000 Krebsneuerkrankungen treten laut von der Locht pro Jahr in Deutschland auf. Damit erkranke statistisch gesehen die Hälfte aller Deutschen in ihrem Leben an Krebs. Etwa 30 bis 40 Prozent dieser Patienten will HMO zukünftig anbieten können, eine Zweitmeinung zur Erkrankung einholen zu können.

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