Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg hat einen jahrelangen Streit geklärt: Bei medizinischem Cannabis handelt es sich nicht um ein Fertig- oder Präsentationsarzneimittel, sondern um einen Rezepturausgangsstoff. Die Frage hat konkrete praktische Relevanz: Der Import von medizinischem Cannabis aus den Niederlanden wurde bisher bundesweit uneinheitlich gehandhabt. In manchen Regionen – auf der Ebene der Regierungspräsidien – wurde Cannabis bisher als Fertigarzneimittel importiert und entsprechend deklariert. Diese Praxis ist rechtswidrig – und die Verpackung von Bedrocan-Cannabis ebenso.
Cannabis ist kein Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG). So lange Cannabisblüten nicht mit konkreten Wirkungen beworben werden, handelt es sich weder um ein Fertig- noch um ein Präsentationsarzneimittel, hat das OLG Hamburg kurz vor Weihnachten entschieden. Zugrunde lag ein Rechtsstreit zwischen zwei Großhändlern, in dem es um Ware des niederländischen Herstellers Bedrocan ging. Der exportiert über das niederländische Cannabisbüro nach Deutschland und ist mit einem Marktanteil von rund 40 Prozent die wichtigste Bezugsquelle für medizinisches Cannabis in den hiesigen Apotheken. Das OLG hat nun untersagt, Cannabis mit seiner bisherigen Deklarierung in den Verkehr zu bringen. Denn das Etikett der gängigen gelb-weißen Bedrocan-Cannabisdosen ist nicht gesetzeskonform.
Im vergangenen März hatte der Antragssteller einen Testkauf durchgeführt und kurz darauf dem beklagten Großhändler – vertreten durch die Hamburger Anwaltskanzlei Diekmann – eine Unterlassungsaufforderung zukommen lassen: Die Kennzeichnung, mit der die Liefergefäße versehen seien, entsprächen nicht den gesetzlichen Anforderungen der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV). Arzneimittel, die zur Anwendung am Menschen bestimmt und keine Fertigarzneimittel sind, dürfen demnach in Deutschland nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn ihre Behältnisse in gut lesbarer Schrift, in deutscher Sprache und auf dauerhafte Weise gekennzeichnet sind.
Diese Voraussetzungen würden die Bedrocan-Dosen jedoch nicht erfüllen, unter anderem, weil die Anschrift des Herstellers darauf nicht angegeben sei. Die abgebildete Bezeichnung „Cannabis flos“ sei zwar zutreffend, es fehle aber der Hinweis auf Stärke und Darreichungsform. Auch die Angabe zum Verfalldatum sei unzureichend, weil sie lediglich mit der niederländischen Angabe „Niet te gebruiken na: 05-2020“ und nicht mit einer der beiden gesetzlich vorgesehenen Formulierungen – „verwendbar bis“ oder „verw. bis“ – mitgeteilt wird. Der Streit ging durch mehrere Instanzen, denn das Landgericht Hamburg hatte im April einen geltend gemachten Unterlassungsantrag zurückgewiesen. Diese Entscheidung kassierte das OLG nun.
Es gab dem Antragssteller recht, wies aber dennoch seine grundlegende Auffassung zurück: „Entgegen der Ansicht des Antragstellers handelt es sich bei den streitgegenständlichen medizinischen Cannabisblüten nicht um Arzneimittel […]. Es handelt sich vielmehr um Stoffe im Sinne von […] § 3 Ziffer 2 AMG“, so das OLG. Jenem AMG-Passus zufolge sind Stoffe unter anderem Pflanzen, Pflanzenteile und Pflanzenbestandteile in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand, was auf Cannabis zutreffe. Dabei wirft die Entscheidung der Richter auch ein Licht auf eine Regulierungslücke: Denn das Arzneimittelgesetz definiert nicht eindeutig, ab welcher Produktionsstufe von einem Arzneimittel gesprochen werden kann.
Vielmehr definiere es neben Arzneimitteln die Stoffe und Wirkstoffe, die dazu bestimmt sind, bei der Herstellung von Arzneimitteln als arzneilich wirksame Bestandteile verwendet zu werden, und erwähnt daneben im Zusammenhang mit Fertigarzneimitteln auch Zwischenprodukte, die ebenfalls keine Fertigarzneimittel sind. Daneben haben sich weitere Begriffsdefinitionen wie Rohstoff, Grundstoff und Bulkware etabliert, „die indes (ebenfalls) keine trennscharfe Abgrenzung ermöglichen“, so die Richter. „Auch die Regelungen des Arzneimittelgesetzes über Arzneimittel, die keine Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 AMG sind, sondern erst durch die Zubereitung des Apothekers ihre endgültige Abgabeform erlangen, liefern keinen eindeutigen Aufschluss.“
Zwar befreie das Gesetz Apotheker für die Herstellung von Arzneimitteln im üblichen Apothekenbetrieb von der Notwendigkeit einer Herstellungserlaubnis – allerdings lasse sich daraus nicht schließen, dass solche Arzneimittel in jedem Fall erst durch den Apotheker hergestellt werden, also zuvor noch keine Arzneimittel, sondern lediglich Ausgangsstoffe oder Zwischenprodukte vorliegen.
Stattdessen gehe das Gesetz „von einem weiten Begriff des Herstellens aus“. Das AMG versteht darunter das Gewinnen, Anfertigen, Zubereiten, Be- oder Verarbeiten, Umfüllen, Abfüllen, Abpacken, Kennzeichnen und die Freigabe. „Da im Hinblick auf die Herstellung der vorgenannten Rezepturarzneimittel mit dem Mahlen, Sieben, Dosieren und Abpacken in der Apotheke noch wesentliche Bearbeitungsschritte zu erfolgen haben, sind die streitgegenständlichen Cannabisblüten (noch) nicht als Arzneimittel, sondern als (Ausgangs-)Stoff nach§ 3 Ziffer 2 AMG, nämlich Pflanzen, Pflanzenteile und Pflanzenbestandteile in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand, anzusehen.“ Nun wandte der Beklagte ein, dass Cannabis nicht zwangsläufig weiterverarbeitet werden müsse, sondern dass auch eine Verordnung von unzerkleinerten Cannabisblüten möglich sei. Damit kam er jedoch nicht durch: Denn auch dann muss der Apotheker auf der Grundlage des individuellen ärztlichen Rezepts eine Identitätsprüfung vornehmen, außerdem seien die patientengerechte Aufbereitung und das Abpacken auch dann zwingende Voraussetzungen für die Abgabe des Rezepturarzneimittels. Auch um ein Präsentationsarzneimittel handele es sich nicht, da die bekannten pharmazeutischen Eigenschaften von Cannabis für eine solche Klassifizierung nicht ausreichten.
Für das Inverkehrbringen von Zwischenprodukten und Wirkstoffen sieht die Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) allerdings klare Richtlinien zur Deklarierung vor:
Fast alles davon sei auf den Bedrocan-Dosen vorhanden – aber nur fast. An der niederländischen Sprache störte sich das Gericht nicht weiter, allerdings daran, dass Bedrocan nur namentlich genannt wird. Eine Adresse fehlt, stattdessen wird auf das niederländische Gesundheitsministerium und das ihm nachgeordnete Büro für Medizinalcannabis verwiesen – als Adresse wird lediglich Den Haag angegeben. „Die Firma Bedrocan B.V. hat ihren Sitz nicht in Den Haag, sondern in Veendam“, so die Richter. „Zudem wäre auch die bloße Angabe der Stadt, ohne die weitere Angabe der Straße und der Postleitzahl, ungenügend.“
Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass die Anwaltskanzlei Diekmann den Antragssteller vertreten habe. Wir haben den Fehler korrigiert.
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