Interview Katja Schnell (Taskforce Impfen Sozialministerium BaWü)

Offizin statt Impfzentrum: „Kosten- und ressourcenschonende Impfstruktur“

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Berlin -

Baden-Württemberg will im Herbst weitgehend ohne Impfzentren auskommen. Arzt-, Zahnarzt- und Tierarztpraxen sowie die Apotheken sollen pro Woche gemeinsam 810.000 Impfungen verabreichen; die Landesregierung will so innerhalb weniger Wochen jeder Bürgerin und jedem Bürger ein Impfangebot machen. Katja Schnell, Leiterin der Taskforce Impfen im Sozialministerium, erklärt, warum man sich für die bewährten ambulanten Strukturen entschieden hat.

ADHOC: Wie sehen die Planungen der Landesregierung für die Impfkampagne im Herbst aus?
SCHNELL: Im Herbst werden die Infektionszahlen vermutlich wieder ansteigen – und damit verbunden auch die Notwendigkeit, wieder mehr Menschen zu impfen. Auf diese Situation im Herbst wollen wir vorbereitet sein. Deshalb haben wir die „Arbeitsgemeinschaft Weiterentwicklung Impfinfrastruktur“ einberufen, in der wir mit allen relevanten Partnerinnen und Partnern die bisherigen Erfahrungen aufarbeiten, um die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Ziel ist es, das Land so aufzustellen, dass wir einer steigenden Impf-Nachfrage so begegnen können, dass einerseits nicht einzelne impfende Stellen bis über die Grenzen ihrer Belastbarkeit beansprucht werden und trotzdem allen Baden-Württemberger:innen zeitnah ein Impfangebot gemacht werden kann.

Der Bedarf und die Anzahl des Betriebs von Impfeinheiten und Impfstützpunkten wird von Unwägbarkeiten wie Anstieg von Infektionszahlen, Impfempfehlung, verfügbare Impfstoffe und Nachfrage abhängen. Das Land berücksichtigt die Impfkapazitäten der impfenden Leistungserbringer vor Ort. Die Festlegung auf eine konkrete Zahl an Impfeinheiten oder Impfstützpunkten für Herbst ist vor diesem Hintergrund gegenwärtig nicht zielführend. Das Impfkonzept des Landes orientiert sich am Bedarf und berücksichtigt alle vorhandenen Kapazitäten.

Die Gesamt-Konzeption der Impfkampagne für den Zeitraum ab Oktober unter Einbeziehung aller impfenden Akteure befindet sich derzeit in Planung. Durch eine variable aber stets ausreichende Bereitstellung von Impfkapazitäten soll der antizipierte Bedarf gedeckt werden können. Dabei soll insbesondere die vorhandene kosten- und ressourcenschonende Impfstruktur im Land effektiv genutzt werden, damit nicht ohne Not neue Kapazitäten (wieder-) errichtet werden müssen.

ADHOC: Welche (schlechten) Erfahrungen mit Impfzentren gibt es und warum will das Land diesmal (trotz versprochener Mittel vom Bund) darauf verzichten?
SCHNELL: Mit den Impfzentren im Land haben wir keine schlechten Erfahrungen gemacht. Aber die Situation war zum Jahreswechsel 2020/2021 eine ganz andere: Die Ansage – auch des Bundes – war es, Kapazitäten zu schaffen, um in schneller Zeit möglichst viele Menschen durchzuimpfen. Dafür waren die großen Impfzentren ausgelegt. Tatsächlich gab es ja dann bis bekannten Beschaffungsplanung und die anfängliche Impfstoffknappheit, weshalb die hohe Nachfrage an Impfungen zunächst nicht zufriedenstellend gedeckt werden konnte. Die in den Impfzentren mögliche Maximalkapazität konnte nach Anstieg der Impfstoffliefermengen erst Ende des zweiten Quartals annähernd erreicht werden. Kurze Zeit später sank aber die Nachfrage aus der Bevölkerung nach Impfangeboten.

Die pauschale Aussage, dass Baden-Württemberg jetzt auf den Betrieb von Impfzentren beziehungsweise von Impfstrukturen des Landes verzichtet, ist nicht korrekt. Aufgrund des rückläufigen Bedarfs nach Corona-Impfungen wurde in Baden-Württemberg die Impfinfrastruktur an die Nachfrage angepasst. Der Bestand an Impfangeboten wurde im April 2022 zurückgefahren mit dem Ergebnis, dass seit Anfang Mai in allen 44 Stadt- und Landkreisen in der Regel bis zu einer Impfeinheit und ein Impfstützpunkt betrieben, gegebenenfalls vorgehalten werden können. Aufgrund der weiterhin geringen Nachfrage sind die Kreise nicht verpflichtet, die Impfeinheiten aktiv einzusetzen oder vorzuhalten, müssen solche aber im Bedarfsfall kurzfristig aktivieren können.

Wie oben dargestellt: Die Gesamt-Konzeption der Impfkampagne für den Zeitraum ab Oktober unter Einbeziehung aller impfenden Akteure, insbesondere auch der niedergelassenen Ärzteschaft, befindet sich derzeit in Planung.

ADHOC: Warum glauben Sie, dass Praxen und Apotheken das schaffen können? Welche Anforderungen gibt es?
SCHNELL: Im Rahmen der AG Zielvereinbarung haben sich die beteiligten Partnerinnen und Partner anhand einer Abfrage auf die Zielzahl von 810.000 Impfungen pro Woche festgelegt. Nach Mitteilung der Organisationen der Leistungserbringer können voraussichtlich Impfungen pro Woche wie folgt erbracht werden: von der niedergelassenen Ärzteschaft rund 550.000, von den Apothekerinnen und Apothekern rund 195.000, von der niedergelassenen Privatärzteschaft rund 53.000 und von der Zahnärzteschaft rund 12.000. Möglich erscheinen darüber hinaus rund 100.000 Impfungen durch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sowie große Betriebe.

Damit könnte der durch den Bund antizipierte Bedarf von rund 6,5 Millionen Impfungen in Baden-Württemberg im Herbst 2022 in rund acht Wochen gedeckt werden. Unser Landesimpfkonzept berücksichtigt jedoch auch mögliche darüber hinausgehende Bedarfe.

ADHOC: Rechnen Sie mit einem Ansturm auf Praxen und Apotheken?
SCHNELL: Wie bereits erläutert, wird der Bedarf an Impfeinheiten und Impfstützpunkten ebenso wie ein möglicher Ansturm auf Praxen und Apotheken von Unwägbarkeiten wie beispielsweise dem Anstieg von Infektionszahlen, möglichen Impfempfehlungen und verfügbaren Impfstoffen und anderem abhängen.

ADHOC: Wie werden die Termine angeboten/organisiert/überwacht?
SCHNELL: In der Vergangenheit haben viele Stadt- und Landkreise insbesondere über das Internet Impftermine eingestellt, die dann von den Bürgerinnen und Bürgern gebucht werden konnten. In den Impfeinrichtungen des Landes gab es auch oft niederschwellige Angebote ohne Termin. Derzeit wird die Einrichtung eines Terminvergabetools für alle Leistungsanbieter im Land angestrebt. So könnten flächendeckend individuelle Terminangebote gemacht werden.

ADHOC: Welchen Plan B gibt es?
SCHNELL: Das Landesimpfkonzept umfasst bereits die möglichen Szenarien. Ziel ist es, das Land so aufzustellen, dass einer steigenden Impf-Nachfrage so begegnet werden kann, dass einzelne impfende Stellen nicht bis über die Grenzen ihrer Belastbarkeit beansprucht werden und trotzdem allen Baden-Württemberger:innen zeitnah ein Impfangebot gemacht werden kann.

ADHOC: Ist das Modell eine Blaupause für andere Bundesländer?
SCHNELL: Zu Planungen in anderen Bundesländern können wir keine Stellung nehmen. Klar ist: Wir tun unser Bestes, Konzepte umzusetzen, die den Bedarf an Impfungen im Herbst decken werden.

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