Nutzenbewertung

Zwei Preise für dasselbe Arzneimittel? APOTHEKE ADHOC, 30.01.2014 10:41 Uhr

Der Preis ist heiß: Die Kassen fürchten, dass die Hersteller der Gliptine bei neuen Indikationen freie Preise berechnen könnten. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Wer ein neues Arzneimittel auf den Markt bringt, muss sich der Nutzenbewertung durch G-BA und IQWiG stellen. Zeigt der Daumen nach oben, wird dann mit dem GKV-Spitzenverband über den Preis verhandelt. Da für jede Indikation ein entsprechender Mehrwert nachgewiesen und quantifiziert werden muss, kann es theoretisch passieren, dass ein- und dasselbe Arzneimittel je nach Anwendungsgebiet zwei unterschiedliche Preise hat. Der GKV-Spitzenverband sieht diese Gefahr jetzt auf sich zukommen und fordert eine gesetzliche Klarstellung.

Hintergrund ist die von der Großen Koaltion geplante Streichung der Bestandsmarktprüfung. Zwar sollen dabei Beschlüsse, die der G-BA bereits getroffen hat, ihre Gültigkeit behalten. Doch die Kassen fürchten, dass einige Hersteller versuchen könnten, sich über Indikationserweiterungen den Preisverhandlungen zumindest teilweise zu entziehen.

Konkret betroffen sind die Gliptine. Die Antidiabetika waren die ersten Wirkstoffe, die vor 2011 eingeführt worden waren und die der G-BA zur Prüfung aufgerufen hatte. Von den den drei untersuchten DDP4-Hemmern und deren Kombinationen mit Metformin wurden nur Sitagliptin und Saxagliptin „Anhaltspunkte für einen geringen Zusatznutzen“ bescheinigt. Für Vildagliptin konnte angesichts der Datenlage gar kein Zusatznutzen attestiert werden.

Noch wird über den Preis verhandelt, doch die Kassen fürchten, dass die zugrunde liegenden Beschlüsse des G-BA ausgehebelt werden könnten. Denn mittlerweile gibt es bei den Präparaten Indikationen, für die noch keine Nutzenbewertung durchgeführt wurde.

So hatte Boehringer im Laufe des vergangenen Jahres für Saxagliptin gleich mehrere Indikationserweiterungen bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA erwirkt: Neben den Kombinationen mit Metformin, Sulfonylharnstoffen und Glitazonen, sind seitdem auch die Mono- sowie die Tripeltherapie mit Metformin und Sulfonylharnstoff zugelassen sowie die Kombination mit Insulin.

Im Dezember hatte die EMA auch für Jentadueto (Linagliptin/Metformin) die Kombination mit Insulin empfohlen. Das Präparat von AstraZeneca und Bristol Myers-Squibb konnte bis dahin nur alleine oder in Kombination mit Sulfonylharnstoffen verwendet werden.

Anfang der Woche wandte sich GKV-Vize Johann-Magnus von Stackelberg schriftlich an die Mitglieder des Gesundheitsausschusses: Obwohl die gesetzgeberische Absicht eindeutig sei, Beschlüsse aus dem alten Jahr von der Abschaffung auszunehmen, gebe es rechtliche Unsicherheiten, wie mit Folgebeschlüssen zu neuen Anwendungsgebieten umzugehen sei.

Stackelberg liefert einen Vorschlag für einen Änderungsantrag mit, nach dem die Preise für alle Arzneimittel aus dem Bestandsmarkt verhandelt werden müssen, für die der G-BA bereits eine Nutzenbewertung abgeschlossen hat – unabhängig davon, ob seitdem neue Anwendungsgebiete hinzugekommen sind.

Besonders bitter: Bei den Gliptinen könnten die Hersteller für alle neuen Indikationen theoretisch ihren eigenen Wunschpreis aufrufen; eine spätere Korrektur gäbe es mangels neuer Nutzenbewertung nicht. Der GKV-Spitzenverband könnte allenfalls in den laufenden Preisverhandlungen einen entsprechenden Vorbehalt aufnehmen.

Stackelberg erklärt aber auch das grundsätzliche Problem: Bei einem nach Anwendungsgebiet differenzierten Erstattungsbetrag würden verfahrenstechnische Probleme die Umsetzung unmöglich machen. Aus seiner Sicht sollte es zwingend einen einheitlichen Erstattungsbetrag unabhängig von den einzelnen Indikationen geben, der eine „umfassende und vollständige Berücksichtigung des gesamten Zusatznutzens des jeweiligen Arzneimittels sicherstellt“.