Kommentar

Nur der Tod schützt vor dem Sterben

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Berlin -

Deutsche Versandapotheken dürfen weiter diskriminiert werden. Nur weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) angenommen hat, EU-Versender müssten gegenüber den Apotheken vor Ort einen Wettbewerbsvorteil erhalten, bedeutet das aus Sicht des Bundesgerichtshofs (BGH) noch lange keinen Freifahrtschein für die verbliebenen Versandapotheken hierzulande. Mit dem Ausgang des Verfahrens zwischen der Apothekerkammer Nordrhein und der Versandapotheke Apotal können die Apotheker zufrieden sein: Immerhin haben die Karlsruher Richter nicht nur die Preisbindung bestätigt, sondern der Politik auch vor Augen geführt, dass es keine Kompromisse geben kann, kommentiert Alexander Müller.

Zwar ging es hier nicht um unmittelbare Rx-Boni bei jeder Bestellung, sondern eine eher umständliche 10-Euro-Kunden-werben-Kunden-Prämie. Aber es wäre der nächste Dammbruch gewesen, hätte der BGH mit dem Argument der Inländerdiskriminierung Apotal die Lizenz zum Geldverschenken gegeben. Die vollkommene Aufgabe der Preisbindung wäre nahe gewesen, ob vom Gesetzgeber beschlossen oder von Gerichten verkündet.

Darüber hätten sich zwar auch einige starke Vor-Ort-Apotheken gefreut, die sich für den Preiskampf gewappnet sehen. Doch die Mehrheit der Apotheken kann sich selbst kleinere Rx-Boni nicht leisten und wäre noch stärker unter Druck geraten als heute schon. Das lässt sich nicht leugnen. Man kann nur die aktuelle Wettbewerbssituation im Apothekenmarkt und die Folge für diesen unterschiedlich bewerten.

In der Frage der „Holland-Boni“ wurde der BGH vom EuGH ausgestochen. Dass die Karlsruher Richter die aus ihrer Sicht grundfalsche Entscheidung aus Luxemburg noch immer nicht ganz verwunden haben, liest man aus den Urteilen, die seitdem in ähnlich gelagerten Fällen ergangen sind. Deswegen klingt etwas Genugtuung mit, wenn der BGH im Apotal-Verfahren auf die nationale Zuständigkeit verweist und Fragen der Warenverkehrsfreiheit hier für nichtig erklärt.

„Privilegiert“ seien die EU-Versender, ja, und die Inländer diskriminiert, das bestreitet niemand in Karlsruhe. Und im Geiste der EuGH-Entscheidung ist die Unterscheidung zwischen Apotal und DocMorris tatsächlich hinfällig. Denn den „Nachteil“, die Menschen nicht im persönlichen Beratungsgespräch zu überzeugen, sondern sie mit Euro und Cent überreden zu müssen, haben die Päckchenpacker auf beiden Seiten der Grenze. Die Entfernung zum Kunden spielt sowieso keine Rolle. Über die Durchschlagskraft des Fremdbesitzverbots in diesem Bereich ist auch schon alles gesagt.

Aber in Karlsruhe sieht man eben noch immer den Wert und den Zweck der Preisbindung. Wir müssen diese Ungleichheit ertragen, lautet die Botschaft. Erst wenn Shop-Apotheke, DocMorris und die anderen hinter der Grenze so viel Marktanteil an sich gerissen haben, dass der Zweck der Festpreise verloren gegangen ist, hätte eine Klage auf Inländerdiskriminierung Aussicht auf Erfolg. Wenn also die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln nicht mehr gegeben ist. Nur der Tod schützt vor dem Sterben. Mit dieser zynischen Forderung hatte auch der EuGH vom deutschen Gesetzgeber Beweise für den Sinn der Preisbindung gefordert.

Das BGH-Urteil zeigt aber noch eines: Auf welches enorme Wagnis sich die Politik einlässt, wenn sie Boni-Deckel und Marktanteilsgrenze für EU-Versender jetzt ins Gesetz schreibt. Das klingt alles sehr nach Pkw-Maut. Die zeitnahe und verlässliche Erfassung der Umsätze wäre nur die erste Hürde und vermutlich noch zu meistern. Aber spätestens bei der Durchsetzung neuer Grenzwerte kämen die Gerichte wieder ins Spiel. Und was der BGH oder gar der EuGH mit Spahns Deckel machen würden, kann heute niemand seriös abschätzen.

Und in der Politik? Ein Rx-Versandverbot ist heute nicht opportun. Wird es eine Einhegung des Versandhandels sein, wenn der Marktanteil sich mehrfach verdoppelt hat? Apotal wollte den Fall an die Vorinstanz zurückverwiesen wissen, weil sich die Marktanteile seit der Revisionsverhandlung geändert hätten, der BGH aber keine neuen Tatsachen aufnehmen darf. Der BGH hat das abgelehnt, was verständlich ist, weil sonst kein Verfahren jemals zum Abschluss käme. Nur zeigt genau das allzu deutlich, dass wir über 5 Prozent Marktanteil diskutieren werden, wenn es in Wirklichkeit schon 10 Prozent sein könnten.

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