Der Gesetzgeber will Null-Retaxationen für Apotheken entschärfen. Allerdings soll sich die Selbstverwaltung vor allem mit Vollabsetzungen wegen kleiner formaler Fehler befassen. Ganz aus der Welt schaffen werden die Apotheker die „Null-Retax“ daher nicht. Eine Apothekerin aus Sachsen will sich zumindest dafür einsetzen, dass einzelne Kassen nicht auch noch an der Zuzahlung verdienen. Doch die Chancen stehen wohl nicht besonders gut.
Die Zuzahlung des Versicherten bemisst sich am Preis des Arzneimittels: 10 Prozent davon muss er aus eigener Tasche bezahlen, mindestens aber fünf und höchstens zehn Euro. Bei einem Preis von unter fünf Euro trägt der Patient die Kosten komplett selbst. Kinder und Jugendliche sind befreit. Zuzahlungspflichtige müssen nicht mehr als 2 Prozent ihres Bruttoeinkommens selbst übernehmen, Chroniker nicht mehr als 1 Prozent.
Bei einer Null-Retaxation wird die Kasse zwar von ihrer Leistungspflicht befreit, weil der Patient sein Arzneimittel erhalten hat. Dem Apotheker wird nicht nur sein eigenes Honorar, sondern der volle Arzneimittelpreis von der Abrechnung gestrichen. Abgezogen werden lediglich Herstellerrabatt und – je nach Kasse – die Zuzahlung des Versicherten. Allerdings gibt es Kassen, die sich bei der Rechnungskürzung nicht um die Zuzahlung scheren.
Dagegen will eine Apothekerin jetzt vorgehen: In ihrem Fall hatte die IKK Classic wegen Nichtbeachtung eines Rabattvertrags auf Null retaxiert – und die Zuzahlung, die bei der Abrechnung abgezogen worden war, bei der Korrektur nicht berücksichtigt. Wenn die Kasse aber den Preis des Arzneimittels nicht erstatte, dürfe auch keine Zuzahlung anfallen: „10 Prozent von 0 sind 0“, so die einfache Rechnung. Die Apothekerin will den Kunden mit den entsprechenden Dokumenten munitionieren. Er soll bei seiner Kasse anfragen, warum ihm die Zuzahlung nicht gutgeschrieben wurde.
Aus Sicht der Kassen ist das Vorgehen korrekt: Der Versicherte ist zuzahlungspflichtig, wurde versorgt und muss nach der Gesetzeslage eine Zuzahlung leisten. Das Sozialgericht Altenburg hat schon 2011 entschieden, dass ein Versicherter in dieser Konstellation seine Zuzahlung nicht zurückverlangen kann.
Der Apotheker wiederum ist zur ordnungsgemäßen Belieferung der Rezepte verpflichtet. Unterläuft ihm dabei ein Fehler, kann die Kasse die Erstattung ablehnen – bestätigt von Bundessozialgericht (BSG) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Dabei darf die Kasse auch die Zuzahlung einbehalten. Auch dies ist sogar schon höchstrichterlich entschieden: Das BSG hat 2006 einer Kasse recht gegeben, die den Apotheker wegen verspäteter Abrechnung „auf Null“ retaxiert und dabei die Zuzahlung einbehalten hatte. Die Kasse habe gegen den Apotheker einen Rückzahlungsanspruch unter Einschluss der Zuzahlung, so die Kasseler Richter.
Abgesehen von der rechtlichen Bewertung können sich die Kassen auch auf den unangemessenen bürokratischen Aufwand berufen: Bei einer Zuzahlung von fünf Euro dürfte eine Rückerstattung mit Anschreiben des Versicherten unverhältnismäßig sein.
Eine Abwicklung über die Apotheke wäre ebenfalls aufwändig – schon wegen des zeitlichen Verzugs der Retaxation. Bleibt abzuwarten, wie sich im aktuellen Fall die IKK Classic ihrem Versicherten gegenüber äußert, wenn der seine geleistete Zuzahlung zurück verlangt. Der Apotheke wurde schon mit Verweis auf das BSG-Urteil mitgeteilt, dass sie keinen Anspruch auf Abzug der Zuzahlung von der Retaxation habe. Die Inhaberin will öffentlich Druck auf die Kasse machen und ruft die Kollegen auf, es ihr gleich zu tun.
Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) sollen Null-Retaxationen zumindest etwas geregelt werden. Der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband (DAV) sollen gemeinsam Kriterien festlegen, wann Vollabsetzungen aufgrund von Formfehlern ausbleiben können. Einigen sich die Vertragspartner nicht innerhalb eines halben Jahres, geht die Sache laut Gesetzentwurf vor die Schiedsstelle.
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