Ein Rezept ist nur mit Unterschrift des Arztes gültig, da gibt es keine zwei Meinungen. Aber ist eine Nullretaxation wirklich gerechtfertigt, wenn der Arzt seine Verordnung nachträglich bestätigt? Über diese Frage streiten Apotheker regelmäßig mit Krankenkassen. Das Problem kennen auch andere Leistungserbringer: Die Ergotherapeuten sind ebenso von Absetzungen gebeutelt – konnten in Sachen Arztunterschrift aber schon einen Erfolg verbuchen.
Der Fall liegt einige Jahre zurück: 2010 retaxierte die AOK Niedersachsen bei einem Ergotherapeuten eine nicht unterschriebene Verordnung, der Schaden belief sich auf 331,57 Euro. Weil die zehn Behandlungen nachweislich stattgefunden hatten, legte der Therapeut eine unterschriebene Kopie des Rezeptes vor. Als die Kasse die Erstattung weiter verweigerte, klagte er vor dem Sozialgericht Hannover (SG), unterstützt vom Bundesverband für Ergotherapeuten in Deutschland (BED).
Der Verband stützte die Klage auf das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Demnach konnte der Arzt seine Unterschrift nachholen und damit das Rechtsgeschäft nachträglich bestätigen. Denn auch das Sozialgesetzbuch (SGB V) sehe eine Geltung der BGB-Vorschriften ausdrücklich vor. „Eine verspätet nachgeholte Unterschrift des Arztes, die den ursprünglichen Formfehler nach allen Rechtsgrundsätzen des BGB heilt, nicht anzuerkennen, scheint in dieser Rigorosität regelrecht mutwillig und grob treuwidrig“, hieß es in der Klageschrift. Es dränge sich die Vermutung auf, der AOK sei jeder Vorwand recht, nachweislich erbrachte Leistungen nicht zu vergüten und dadurch Geld zu sparen, so der BED.
Die AOK plädierte zunächst auf Abweisung der Klage. Doch als man beim BED bereits mit einem Urteil rechnete, lenkte die Kasse ein: Im Frühsommer 2012 gab die AOK ein sogenanntes Anerkenntnis ab und erkannte auch die Kosten „dem Grunde nach“ an. Der BED bewertet dies als grundsätzliches Versprechen, bei Rezepten mit fehlender Arztunterschrift eine Heilung zuzulassen.
Auch wenn der BED den Erfolg feiert, hat das Anerkenntnis wenig Strahlkraft auf das Retax-Gebahren der Kassen allgemein: „Absetzungen beschäftigen uns leider tagtäglich, das Problem ist also mitnichten aus der Welt“, sagt Andrea Hiller vom BED. Es gibt auch bei den Ergotherapeuten immer wieder absurde Fälle: Einmal verweigerte die Kasse die Erstattung, weil der Patient die Behandlung nicht selbst quittiert hatte – der Patient lag im Wachkoma. „Die Kassen wollen Geld einsparen und führen hierfür zum Teil abwegige Begründungen an“, sagt Hiller. In diesem Fall habe die Kasse aber eingelenkt.
Gerade bei Formfehlern reicht es oft, wenn ein Anwalt des BED mit einer Klage droht. „Dann lenken die Kassen öfter ein – immer mit dem Hinweis, dass dies nur aus Kulanz geschieht und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“, so Hiller. Kommt es doch einmal zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, trägt der Verband die Verfahrenskosten für seine Mitglieder, sofern es sich um die Klärung eines grundsätzlichen Sachverhaltes handelt. Der BED vertritt nach eigenen Angaben eine vierstellige Anzahl von Ergotherapeuten.
Natürlich gebe es auch berechtigte Absetzungen ohne Möglichkeit zur Heilung, so Hiller. Die Diagnose oder das verordnete Heilmittel etwa könnten nicht nachträglich verändert werden. Aber ein falsches Kreuz zu Erst- oder Folgeverordnung sei nicht entscheidend für die Durchführung der Therapie. „Wenn der Arzt bei einer fehlenden Unterschrift auf dem Rezept nachträglich bestätigt, dass die Verordnung in seinem Sinne war, müssen solche Formfehler heilbar sein“, fordert Hiller.
Die Ergotherapeuten hoffen auf das kommende Jahr: Ab 2017 sind Ärzte gesetzlich verpflichtet, eine Software zu verwenden, deren internes Prüfprozedere formal korrekt ausgestellte Verordnungen garantiert. Formfehler sollen dann der Vergangenheit angehören. Während die Apotheker sich im Rahmen der Selbstverwaltung mit den Kassen einigen sollen, hat die Große Koalition mit dem GKV-VSG für die Therapeuten direkt etwas getan.
Beim BED erhofft man sich davon die große Wende. Hiller bleibt allerdings skeptisch: „Ich gehe davon aus, dass es besser wird, aber die Kassen werden immer wieder Gründe für Absetzungen finden.“ Zumal nicht alle Beanstandungen mit der Verordnung selbst zu tun haben. Eine Fristüberschreitung bei der Behandlung oder eine fehlende Unterschrift des Patienten dürften also auch künftig retaxiert werden.
Zumindest einige Gründe für Retaxationen und Ärger mit einer falschen Zuzahlungsbefreiung sollten auch in der Apotheke bald wegfallen. Mit dem E-Health-Gesetz ist die Große Koalition auch hier das Problem der Arztsoftware angegangen. Die Mediziner werden – gegen ihren Widerstand – verpflichtet, ihre EDV regelmäßig zu aktualisieren. Damit kann zumindest verhindert werden, dass die Ärzte Präparate verordnen, die in dieser Form nicht mehr auf dem Markt sind – oder gar nicht mehr verkehrsfähig. Die Möglichkeiten anderer Formfehler auf dem Rezept bleiben davon unberührt.
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