Opt-out-Klausel

Notruf der Ärzte

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Berlin -

„Lebensretter am Limit“ – Mediziner arbeiten oft mehr als 60 Stunden in der Woche. Wer die Zusatzklausel im Arbeitsvertrag nicht unterschreibt, riskiert den neuen Job. In „Welt kompakt“ erzählt heute eine Ärztin aus ihrem Alltag.

Friederike, 31, Assistenzärztin in einer großen Klinik am Stadtrand von Berlin, erzählt von einer Horror-Nacht vor ein paar Monaten. Drei Menschen musste sie, Stunden nach Dienstschluss, reanimieren. Danach brach sie erschöpft und weinend zusammen, konnte nicht mehr weiterarbeiten.

Am Tag, als sie ihren Arbeitsvertrag unterschrieb, lag eine schriftliche Zusatzvereinbarung, die sogenannte Opt-out-Klausel, dabei. Damit erklärt sich der Arbeitnehmer damit einverstanden, dass seine Arbeitszeit über den Tarifvertrag hinaus erhöht werden darf. In Friederikes Fall waren dies 60 Wochenarbeitsstunden, denen sie schriftlich zustimmte. Eigentlich erlaubt die EU-Arbeitszeitrichtlinie seit 2003 nur eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Stunden.

Viel Wahl haben die Ärzte nicht. Als Assistenzärztin Friederike nach der Schreckensnacht ihre Zustimmung zur Mehrarbeit widerrufen hat, war sie die einzige im Team. Verständnis zeigte niemand, man warf ihr mangelnde Teamfähigkeit vor. Arbeitsalltag in deutschen Kliniken? „Es gibt Fälle, die deutlich machen, dass Ärzte unter Druck geraten, wenn sie kein Opt-out vereinbaren wollen“, sagt Hans-Jörg Freese, Sprecher der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, in Welt kompakt. Seine Erfahrung belegt: „Wenn der Arbeitgeber bei Abschluss eines Arbeitsvertrages zugleich eine Opt-out-Erklärung vorlegt, signalisiert er dem Arzt, dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist.“ Subtiler Druck, der scheinbar unausweichlich ist, denn wer möchte den Job riskieren. Zumal es in anderen Kliniken ähnlich sein wird.

Klaus Reinhardt, Hausarzt und Bundesvorsitzender des Hartmannbunds, sagt zu Welt kompakt: „Ohne die Opt-out-Regelung bei Ärzten und Pflegern würden die meisten Krankenhäuser nicht funktionieren.“ Sie bräuchten dann weiteres Personal, die Klinkkosten würden steigen. Angesichts des Ärztemangels bezweifelt Reinhardt, dass überhaupt ausreichend Kandidaten vorhanden wären.

Opt-out-Verträge betreffen insbesondere Ärzte in großen Städten. In ländlichen Gegenden ist der Druck, solche Verträge unterschreiben zu müssen, geringer. Denn dort haben Kliniken Probleme, überhaupt Ärzte zu finden. Laut Reinhardt gibt es Kritiker, aber auch Befürworter der Verträge, da die Ärzte durch die Mehrschichten auch mehr verdienten.

Dazu kommt, dass Mehrarbeit bei Ärzten quasi zum Beruf gehöre, ein ungeschriebenes Gesetz besage, dass ambitionierte Ärzte mindestens 60 Stunden in der Woche arbeiten. Eine aktuelle Befragung unter mehr als 6000 Krankenhausärzten durch den Marburger Bund ergab, dass 40 Prozent der Ärzte 49 bis 59 Stunden pro Woche arbeiten. Jeder Fünfte hat eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 60 bis 80 Stunden. 90 Prozent der befragten angestellten Ärzte wünschen sich eine Wochenarbeitszeit von höchstens 48 Stunden.

Die Welt kompakt beschreibt zudem unter dem Titel „Baustelle Gesundheit“ die aktuelle Lage des deutschen Gesundheitssystems. So leiste sich das Land eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt, die Qualität sei nach einer Analyse der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) aber nur mittelmäßig.

Die Deutschen geben rund 350 Milliarden im Jahr für ihre Gesundheit aus. Selten zuvor sei es in der Gesundheitspolitik so ruhig wie in den vergangenen vier Jahren zugegangen. „Nahezu geräuschlos setzte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit dem schwarz-roten Koalitionsvertrag 28 Gesetze und fast 40 Verordnungen um“, schreibt die Zeitung.

Die wichtigsten Kritikpunkte des deutschen Gesundheitssystems: In keinem anderen Land der Welt werden beispielsweise so viele blutdrucksenkende Medikamente wie in Deutschland verordnet. Es fehle, was zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Krebs angeht, an wirkungsvollen Präventionsmaßnahmen. Auch das Wissen der Deutschen um Gesundheitsthemen sei ausbaufähig. Und die jahrelange Verzögerung der Einführung der elektronischen Patientenakte verbessere laut Welt kompakt die Lage nicht.

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