Vom Kabinett beschlossen

Notfallreform: Notfallapotheken ab Anfang 2025 Laura Schulz, 17.07.2024 17:31 Uhr

Herzstolpern, Schmerzen oder Unfall? Für schnelle Hilfe gehen viele direkt in die Notaufnahme. Dort herrschen oft Stress und Warterei. Der Gesundheitsminister verspricht eine Runderneuerung – inklusive Arzneimittelversorgung. Foto: gameboyfoto - stock.adobe.com
Berlin - 

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verspricht eine Runderneuerung der Notfallversorgung in Deutschland. Für die Patientinnen und Patienten wird sich wohl einiges ändern. Heute sind Warterei für die Hilfesuchenden und Stress fürs Personal Alltag in Notaufnahmen. Künftig sollen die Notfallpatienten und -patientinnen besser durch den Gesundheitsdschungel gesteuert werden. Das Kabinett hat die Reform beschlossen, Anfang 2025 soll sie in Kraft treten. 

Anders als die Apothekenreform ging die Notfallreform heute durchs Kabinett. Dabei hat auch diese Reform Auswirkungen für die Apotheken. So wird das Apothekengesetz dementsprechend angepasst, dass es Apotheken geben soll, die die Patient:innen der neuen Notfallzentren mit Arzneimitteln versorgen sollen.

Dazu heißt es nun im Gesetzentwurf: „Der Inhaber einer Erlaubnis zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke kann zur Versorgung von Patienten einer Notdienstpraxis mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten einen Vertrag mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung und dem Träger des Krankenhauses, mit dessen Notaufnahme die Notdienstpraxis ein Integriertes Notfallzentrum bildet, schließen. Die Versorgung kann durch die öffentliche Apotheke erfolgen, wenn diese in unmittelbarer Nähe zur Notdienstpraxis liegt. Liegt die öffentliche Apotheke nicht in unmittelbarer Nähe zur Notdienstpraxis, kann die Versorgung durch den Betrieb einer zweiten Offizin dieser Apotheke mit Lagerräumen an dem Standort, an dem die Notdienstpraxis betrieben wird, erfolgen, wenn die Räume der zweiten Offizin in angemessener Nähe zu dieser Apotheke liegen.“

Die Patientensteuerung im Notfall soll sich nun verbessern. Was auf die Versicherten zukommt:

Wo soll man sich künftig im Akutfall hinwenden?

Bei schweren Notfällen, etwa schweren Unfällen oder Herzinfarkt, soll man weiter die 112 wählen. Wenn es doch kein schwerer Notfall ist, kann der Anrufer dort heruntergestuft werden. Eingeführt werden mit dem Gesetz – wenn es im Parlament beschlossen wird – zwei Neuerungen: In Akutleitstellen sollen Patientinnen und Patienten jenseits schwerer Notfälle eine Ersteinschätzung zum weiteren Vorgehen bekommen. Erreichbar sind sie bundesweit unter der Telefonnummer 116 117.

Rund um die Uhr gibt es über diese Nummer auch einen Notdienst mit einem Arzt oder einer Ärztin – telemedizinisch über Video zugeschaltet oder per Hausbesuch. Bundesweit sollen zudem sogenannte integrierte Notfallzentren in der Regie von Kliniken aufgebaut werden. Hier kann man im Notfall hingehen. Die Zentren kombinieren die Notfallaufnahme des Krankenhauses mit einer Notdienstpraxis. An manchen Standorten soll es Notfallzentren für Kinder und Jugendliche geben.

Man fürchtet, sofort behandelt werden zu müssen – was ist zu tun?

Das Anwählen der 116 117 soll die Regel werden. Lange Warteschleifen sollen vermieden werden, in 75 Prozent der Fälle soll es nur höchstens drei Minuten dauern. Patientinnen und Patienten können von den Ärzten am Telefon sofort auf die 112 umgeleitet werden, auch für einen Krankenwagen. Sie können auch ins nächste Notfallzentrum geschickt werden. Wer dort über die 116 117 landet, soll schneller drankommen. Die Telefon-Beratung soll nach der Erwartung der Regierung aber unnötige Rettungsstellen-Besuche verhindern. Verknüpft werden die Akutleit- mit den Terminservicestellen: Arztbesuche können dann direkt am Telefon in die Wege geleitet werden.

Was ist das Besondere an den Notfallzentren?

Am Empfangstresen der integrierten Notfallzentren (INZ) soll es eine Ersteinschätzung geben: Wohin geht es für die Hilfesuchenden als nächstes – in die Notaufnahme oder eine nahe Notdienstpraxis? Lauterbachs erklärtes Ziel: Patientinnen und Patienten sollen dort behandelt werden, wo es am besten und schnellsten geht. Die INZ sollen so im Land verteilt werden, dass mindestens eines stets gut erreichbar ist.

Die angeschlossenen Notdienstpraxen sollen abends immer bis 21 Uhr offen haben – auch an Wochenenden und Feiertagen. Lauterbach will, dass in der Notfallversorgung „erfahrenes ärztliches Personal“ eingesetzt wird. Das Geld für die Notfallzentren soll zur Hälfte von den Krankenkassen und zur Hälfte von den Kassenärztlichen Vereinigungen kommen.

Was kann passieren, wenn der Fall als leicht eingestuft wird?

Tatsächlich soll die Leitstelle über Software verfügen, die klaren und schnellen Einschätzungen der Notfälle dienen sollen. Die Ärztin oder der Arzt können telefonisch oder per Video einen Praxis- oder Klinikbesuch als nicht nötig erachten. In so einem Fall soll aber auch ein E-Rezept oder eine elektronische Krankschreibung ausgestellt werden können.

Warum die Reform?

Die Notfallambulanzen sind heute teils überfüllt. Jede und jeder Dritte in einer Notaufnahme wäre nach Einschätzung Lauterbachs in einer Praxis besser aufgehoben. Oft komme Rettung auch zu spät, würden schwere Notfälle zu spät richtig eingeschätzt. Die Schwere des Notfalls werde aber auch oft überschätzt.

Was sagen die Funktionäre der Ärzte und Krankenkassen?

Sie sind sich ausnahmsweise einmal einig. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) lobt positive Ansätze, zweifelt aber an voller Umsetzbarkeit. Dazu sei zu wenig Personal da. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband warnt deshalb sogar vor einem Scheitern der Reform. Die Vize-Chefin des Krankenkassen-Spitzenverbands, Stefanie Stoff-Ahnis, sagte: „Das Notfallgesetz enthält viele richtige Ansatzpunkte, um die Versorgung unserer Versicherten zu verbessern.“

Doch die Kassenärztlichen Vereinigungen dürften nicht vor unlösbare Personalprobleme gestellt werden. Lauterbach argumentierte: „Wir konzentrieren ja die Notfallversorgung, sodass es keine redundanten Strukturen gibt. Und wir vermeiden Notfälle.“ Auch neue finanzielle Anreize solle es geben. Konkret sieht er aber auch die Möglichkeit, Fachärztinnen und -ärzten in die Notfallversorgung umzuleiten.

Ist die Reform fertig, wenn das Gesetz beschlossen ist?

Nein. Kombinieren will Lauterbach das mit Neuerungen im Rettungsdienst. Hier sollen unter anderem bundesweit gleiche Standards eingeführt werden. Doch manche zweifeln, dass das alles so kommt. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, spricht von hohen Erwartungen, die der Minister mit den Notfallzentren wecke. „Doch das Konzept gleicht einer Operation am offenen Herzen. Ob das passgenau gelingt, bleibt abzuwarten.“

Die Schnittstellen zwischen den Akteuren des komplexen Systems müssten funktionieren. Dass das Gesundheitswesen wegen der einflussreichen Akteure lange als kaum reformierbar galt, wissen der Minister und sein Kritiker. Lauterbach will das Gesundheitssystem insgesamt runderneuern. „Daher haben wir schon 15 Gesetze in dieser Legislaturperiode gemacht, aber es stehen noch mindestens so viele Gesetze an.“